"Die Unberührbare" von Oskar Roehler. BRD, 1999. Hannelore Elsner, Vadim Glowna, Jasmin Tabatabai, Michael Gwisdek, Lars Rudolph, Tonio Arango, Charles Regnier, Nina Petri
Die letzten Tage im Leben von Hannah Flanders: Die exzentrische Schriftstellerin lebt allein in München und nimmt verzweifelt und bestürzt den Mauerfall und die beginnende Wiedervereinigungseuphorie zur Kenntnis. Sie will nach Berlin ziehen, scheitert dort, macht sich, fast mittellos, auf den Weg zurück nach München, landet bei ihren Eltern, scheitert dort, trifft ihren Ex-Mann und Vater ihres Sohnes in Darmstadt, scheitert dort, bricht zusammen, kommt in die Klinik, wo man sie auf ihren katastrophalen Gesundheitszustand aufmerksam macht, und springt schließlich aus dem Fenster.
Hannah Flanders ist eigentlich Gisela Elsner, die Mutter Oskars Roehlers, die 1992 Selbstmord beging, eine Autorin, die in den Sechzigern zu Ruhm kam, dann aber mehr und mehr auch ins politische Abseits geriet und heute fast vergessen ist. Ich selbst muß zugeben, allerhöchstens den Namen der Schriftstellerin schon gehört zu haben, doch Bücher von ihr kriegt man heutzutage nicht mehr in die Hände. Man kann nur hoffen, daß der Film ein wenig daran rütteln kann, denn sicherlich gibt es hier noch etwas zu entdecken, eine unbequeme, kontroverse, völlig eigensinnige, lächerlich verbohrte, grotesk eitle und widersprüchliche Frau. Eine Kryptokommunistin, die Lenin als Idol auserkoren hat, Westdeutschland zutiefst verachtet, die DDR als Paradies verklärt (obgleich sie niemals dort gelebt hat), mal zerbrechlich, empfindlich, hochsensibel, dann wieder provokant und trotzig, die von der reinen Lehre schwätzt und Pelzmäntel von Christian Dior spazierenführt, die Kette raucht bis zur absoluten Selbstzerstörung und deren gesamtes Privatleben völlig in Trümmern liegt. Verständlicherweise zeichnet sich ein Porträt dieser Frau nicht gerade durch fröhlich-laute bunte Farben aus, ganz im Gegenteil. Roehler zeigt uns ein in tristes Schwarzweiß gehülltes Deutschland zwischen Unwirtlichkeit und einigen wenigen Oasen der Menschlichkeit, doch es ist klar daß, egal was sie erlebt, nichts Hannah retten kann. In Berlin wird sie zunächst von ihrem Verleger düpiert, gerät dann an eine unheimlich freundliche, warmherzige, großzügige Ossifamilie, deren strahlender Optimismus für sie aber auch nur ein Schlag ins Gesicht ist. Ihr Sohn, ein wirrer, leicht aggressiver und irgendwie verstört wirkender Typ, verschanzt sich hinter seiner Freundin, die Muttern dann hinauskomplimentiert. Hannahs eigenes Elternhaus ist die Hölle auf Erden: Paps ist lieb und nett und zückt immer gleich das Scheckbuch, Mama ist die leibhaftige Tyrannin, gemein, zynisch, grausam und vollkommen unsensibel. Hannah flüchtet folgerichtig und gerät an ihren Ex, einen trinkenden, in Nostalgie schwelgenden und eher frustriert wirkenden Typen, der ihre Situation nur halb versteht und sie wiederum zum Gehen zwingt. Hannah ist nirgendwo in diesem Land zu Hause, aber sie wäre auch nirgendwo anders zu Hause, weil sie in sich selbst nicht mehr zu Hause ist. Ihre Angst vor der Zukunft, vor der allgemein hereinbrechenden Mittelmäßigkeit, vor dem großen Konsumrausch, der alle Ideale, alle Ideologie unter sich begräbt, vor der großen Mittelmäßigkeit frißt sie auf und macht sie zugleich schrecklich einsam, denn niemand um sie herum versteht ihre Gefühle. Ihr Leninismus ist fast lächerlich, ein Relikt aus tödlichen und längst vergangenen Zeiten und nur noch dazu angetan, sie anderen zu entfremden, sie zu isolieren. Roehler läßt sie durch ein Land stolpern, das wie ein einziger, unwirklicher Traum erscheint, in dem alle Regeln, alle Verläßlichkeiten verschwunden sind, in dem alles im Umbruch, im Umsturz ist, in dem jede alte Sicherheit verlorengegangen ist. Hannah scheitert an sich selbst und daran, daß sie sich mit diesen Veränderungen nicht arrangieren kann, und da gibt es nichts zu bewerten, nichts zu verurteilen, nichts zu dramatisieren und nichts zu klagen. Roehler tut all dies auch nicht, sondern widmet sich der Personenzeichnung mit größtmöglicher Intensität und Einfühlsamkeit,. Herausgekommen ist ein beeindruckender, faszinierend eindringlicher Film voller unvergeßlicher Bilder und Begegnungen und auch voller unvergeßlicher Schauspieler, allen voran natürlich Hannelörsche Elsner, die mal wirklich zeigen darf, was sie alles kann. Ein ganz und gar ernsthafter, tiefgehender Film, meilenweit entfernt übrigens von Roehlers oberflächlich-banalem Szeneschick aus "Silvester Countdown", ein Film, der nichts anderes sein möchte, aber andererseits auch nicht mit Plattitütden oder intellektuellem Dünkel daherkommt, sondern nur das sein will, was er ist, das Porträt einer interessanten Frau. Und ein Film, der einem die Hoffnung wiedergibt, daß in einigen Ecken Teutschlands ja doch die Substanz zu solch großartigem Kino lauert und man manchmal nur auf den passenden Moment warten muß. Wenn das so ist, überbrücke ich gern mal die Zeit zwischendurch - mit Buck und Co., wenn's denn sein muß. (20.6.)