"eXistenZ" (#) von David Cronenberg. Kanada, 1999. Jennifer Jason Leigh, Jude Law, Ian Holm, Christopher Eccleston, Willem Dafoe
Herr Cronenberg, der Mutantenfetischist, der verrückte Krauskopf, der Bilderstürmer und Zukunftsweiser, der Technokrat, der Meister der Suggestion und vor allem der großartige Ironiker, hat wieder hingelangt und schickt uns diesmal tief hinein ins Reich der Spiele, der virtuellen Welten, legt solange eine Schicht über die nächste, bis niemand mehr, die Zuschauer nicht und die beteiligten Personen erst recht nicht überblicken, in welcher Welt sie nun eigentlich gerade angelangt sind. Erst denkt man, daß alles ganz übersichtlich ist: Eine gefeierte Gamedesignerin will ihre neue Kreation testen, gerät innerhalb des Spiels in höchste Lebensgefahr, weil Agenten eines konkurrierenden Spielekonzerns ihr die Erfindung abjagen wollen, rettet sich mit Hilfe eines Freundes und entkommt wieder in die Realität. Dann aber erkennen wir, daß schon diese Realität eine Ebene des Spiels war, und daß vorab eine weitere Ebene geschaltet war, auf der uns plötzlich alle Protagnisten der kuriosen Story als ganz normale Bürger wieder begegnen und sich ein ganz anderer als der Erfinder von "eXistenZ" entpuppt. Als der aber plötzlich auch getötet wird, sind wir wieder nicht mehr so sicher, was jetzt Sache ist: Spiel oder doch nicht?
Natürlich outet sich der Film ziemlich schnell als bissige, genial gestaltete Satire und deutliche Kritik an den Dimensionen der modernen Spieleindustrie, die offensichtlich keine Grenzen kennt, wenn es nur der Adrenalinausschüttung der Konsumenten und deren Kauffreude förderlich ist. Cyperspace wird zelebriert, die wirkliche Welt ist langweilig und öde, was zählt, ist nur noch der Kick, die Erforschung eines Paralleluniversums, in dem ganz neue Regeln gelten und die Möglichkeiten und Mächte unbegrenzt sind. Ruppige Gewalt gehört selbstverständlich immer dazu, totalitäre Phantasien ebenso, und vor allem kann man keinem Menschen trauen. Mit grimmiger Konsequenzen setzt auch Cronenberg als Regisseur und Autor unser eigenes Vertrauen in die Geschichte und die Personen außer Kraft, er führt uns fort vom festen Boden verläßlicher Verhältnisse und herkömmlicher Gewißheiten, er läßt uns fallen, schwimmen, auf ziemlich glattem Eis wandern. Dabei bedient er sich, in betontem und absolut provokantem Gegensatz zu vielen anderen Cyperspacethrillern, überhaupt keiner aufwendigen Technik oder Dekors. Im Gegenteil - die Geschichte spielt sich in ländlichem Milieu statt, in gammeligen Holzhäusern, Tankstellen, Skihütten oder ähnlich unattraktiven, unspektakulären Orten. Es gibt keine dröhnenden Special Effects, lediglich ein paar genußvoll ekelige Kleinigkeiten (schmatzende Bioporte im Rückenmark, zweiköpfige Mutanten, glibbrige Gamestations, eine Waffe aus Knochen mit Zahnreihen als Projektile), die ihren Schöpfer sofort verraten und auch den Spaß, den er dabei hatte. Das Beste an diesem brillant inszenierten und gespielten Film ist nämlich der Spaß, die triefende, höhnische Ironie, die fast jede Szene durchzieht, die Absurdität, das Skurrile, Abseitige, Groteske. In den Details liegt der Abgrund, der tiefschwarze Humor, und gerade hier zeigt sich auch Cronenbergs hämische Überlegenheit den ganzen Technoorgien Hollywood gegenüber, die er ganz nebenbei völlig ad absurdum führt. Alles in allem ist dies einer der besten Cronenbergfilme, ein Genuß für Freunde des Makabren und für Gegner blinder Fortschrittsgläubigkeit. (25.1.)