"Felicia's Journey" (Felicia, mein Engel) von Atom Egoyan. England/Kanada, 1999. Bob Hoskins, Elaine Cassidy, Sheila Reid, Arsinée Khanijan Peter McDonald, Gerard McSorley, Brid Brennan
Felicia kommt über die See von der grünen Insel rüber nach Bristol, um den Vater ihres noch ungeborenen Kindes ausfindig zu machen, der irgendwo hier oder auch in Birmingham bei einer Rasenmäherfabrik arbeiten oder bei der Armee sein soll. Sie findet den Mann nicht, dafür aber einen älteren Herrn mit Namen Hilditch, der allein in einem schönen Haus lebt, gern kocht und das Andenken seiner Mutter in Ehren hält. Seine aufopfernde Hilfsbereitschaft nimmt mehr und mehr gefährliche Züge an: Er überredet sie, abzutreiben und letztlich wird sein Geheimnis enthüllt, nämlich daß er schon sehr viele junge Mädchen, zumeist Prostituierte in Not getötet und vergraben hat.
Natürlich hat Egoyan keinen neuen Serienkillerfilm gedreht - es gibt eh schon viel zuviel davon -, er hat vielmehr ein großartig intensives, einfühlsames und dennoch kühles Psychogramm zweier einsamer Menschen gedreht, die unbeirrt und stets am Rand des Abgrunds ihren Obsessionen und Sehnsüchten folgen. Felicia muß für ihre Jungmädchennaivität nicht nur mit einer ungewollten und im katholisch-ländlichen Irland natürlich katastrophalen Schwangerschaft bezahlen, sie wird auch noch vom eigenen Vater verstoßen, der ihr unmißverständlich klarmacht, daß die Beziehung zu einem britischen Soldaten gänzlich inakzeptabel sei. Sie aber nimmt ihrer sterbenden Großmutter das Geld weg und macht sich auf den Weg, streift orientierungslos durch öde britische Industrieviertel, nur immer von dem einen Gedanken getrieben, nämlich ihren Johnny zu finden. Ihre Verletzlichkeit, Zartheit und letztlich auch Unschuld nehmen Hilditch gefangen, der einem monströs verzerrten Mutterkult ausgeliefert ist, Küchengeräte sammelt und immer nur die eine Kochsendung sieht, während er parallel kocht. Der dicke, sich bei Leber erbrechende Junge neben der charismatischen Pseudofranzösin im TV ist er selbst und seine Hilfsaktionen für gestrandete Mädchen versteht er als Gnadenakte. Erst zum Schluß bedrängen ihn zwei Sektenfrauen und auch Felicias Reinheit so sehr, daß er seine Mission erfüllt sieht und sich erhängt. Er ist damit am Ziel, nur Felicia nicht, die nach wie vor an ihr Glück glaubt.
Ein ganz stiller, sich langsam entwickelnder Film, fast ein Zwei-Personen-Stück mit einigen, allerdings nicht sonderlich plastisch ausgeformten Nebenfiguren. Egoyan hat, den Eindruck erhält man jedenfalls, ein bißchen Mühe, die Geschichte zu einem spannenden und zugleich glaubwürdigen Ende zu bringen, zuvor aber wird man vollständig gefangengenommen von der Schauspielkunst der beiden Hauptpersonen und Egoyans meditativ-magischer Bildführung. Zwar ist er den beiden stets nahe (und nähert sich ihnen noch zusätzlich in mehreren Rückblenden, die den Handlungslauf unterbrechen), doch läßt er ihnen die Fremdheit, versucht nicht, ihre Motivationen und Triebe bis ins Letzte zu durchleuchten, er zeigt sie als von ihrer Umgebung merkwürdig isoliert, fast ausgeliefert. Felicia gerät für kurzem in die Hand jener merkwürdigen Sekte, die letztlich auch Hilditch heimsuchen will, und ist nicht in der Lage, sich zu wehren, oder eine eigene Entscheidung zu treffen. Genauso ergeht es ihr bei der Abtreibung, die Hilditch suggeriert und die sie eigentlich gar nicht will. Erst ganz zum Schluß, als er schon das Grab für sie ausgehoben hat, lehnt sie sich auf und will fliehen, was ihn erkennen läßt, daß er sie nun verloren hat und sie ihren eigenen Weg gehen wird. Wie immer bewegt sich Egoyan außerhalb jeglicher Konvention, bleibt auch bei der oberflächlichen Anlehnung an eine Krimihandlung sperrig und eigenwillig. Ein faszinierend ästhetischer und eindringlicher Film, dessen starke Bilder sich fest im Gedächtnis einnisten werden, umso mehr, als man wie schon bei "The sweet hereafter" den Eindruck behält, nie ganz bis auf den Grund gekommen zu sein. (8.2.)