"The Cider House Rules" (Gottes Werk und Teufels Beitrag) von Lasse Hallström. USA/England, 1999. Tobey McGuire, Michael Caine, Charlize Theron, Paul Rudd, Kathy Baker, Kate Nelligan

Noch ein Literaturfilm und wieder ist ein Roman betroffen, der mir als Leser sehr am Herzen lag. Und wieder findet sich der erste Minuspunkt gleich schon vorneweg in den quantitativen Relationen: Wie, bitte schön, soll man einen Roman von beinahe achthundert Seiten halbwegs sinnig in einem Zweistundenfilm unterbringen? Das geht nicht, geht unter gar keinen Umständen, und läßt damit eine der bestechendsten Qualitäten des Schriftstellers Irving verlorengehen, nämlich seine unnachahmliche Fähigkeit, gerade in der Länge und Breite einen derart intensiven Sog zu erzeugen, daß man das Buch wirklich nicht mehr weglegen möchte. Drei oder noch besser vier Stunden hätten vielleicht halbwegs hingereicht, aber das epische Element, die große, ausschweifende Chronik über viele Jahrzehnte, das Gefühl für den Lauf der Zeit und des Schicksals, all dies bleibt außen vor dem Kinosaal.

 

Und dennoch ist dies ein außerordentlich schöner und guter Film geworden und sogar ein hervorragender Literaturfilm. Pluspunkt Nummer eins: Irving selbst schrieb das Drehbuch und sorgte somit dafür, daß der Geist seines Buches, jener flüssige, aber eigentümlich ruhiger und friedfertige Tonfall, perfekt herüberkommt. Er kürzt kolossal, aber das Drehbuch ist in sich enorm stimmig und geschlossen, die abgemagerte Geschichte dennoch wunderbar. Pluspunkt Nummer zwei: Lasse Hallström ist ein Regisseur, der Menschen, Eigenbrötler, Außenseiter, Sonderlinge ins Bild setzt, ohne sie zu romantisieren und ohne ihnen Ecken, Kanten, Eigenarten zu nehmen. Er kann Geschichten erzählen und er kann alle Facetten der Dramaturgie, von komisch bis todtraurig, in einem Film unterbringen. Pluspunkt Nummer drei: Die Darsteller sind keine berühmten Leute, (selbst Caine zählt ja eigentlich nicht zu den Glamourstars) sondern hervorragende Darsteller, die sich in den Dienst des Films stellen und die vor allem sehr sorgfältig ausgesucht wurden. Als Ensemble sind sie perfekt, ohne daß einzelne herausragen (auch wenn Caines Präsenz einmal mehr faszinierend ist). Pluspunkt Nummer vier: Die Handlungsorte in Neuengland werden wunderbar nachempfunden (manches hatte ich mir im Buch tatsächlich so vorgestellt, wie ich es jetzt im Film sah) und in ebensolch wunderbare Bilder getaucht: Betörende Landschaften, zauberhafte Stimmungen, ein Film rein für's Auge, der dabei seine Substanz zu keiner Zeit verrät. Von der ersten bis zur letzten Minute folgt man dem wendungsreichen Schicksal des Homer Wells, jenes eigentümlich stoischen komischen Kerls, der glaubt, einen Herzfehler zu haben, mit tiefster Anteilnahme, seine Verbundenheit mit St.Cloud's im Staate Maine, wo er als Waise eine Heimat fand, die treue Liebe zu seinem Ziehvater und Vorbild, dem Geburtshelfer und Abtreiber Wilbur Larch, dann die Liebe zu Candy, der Ausbruchsversuch zur Apfelplantage, die Erlebnisse mit den Pflückern dort, die glückliche und dort nicht realisierbare Verbindung zu Candy und schlußendlich die Rückkehr nach St.Cloud's, wo er Larchs Nachfolge antritt. Wie gesagt, etliche Handlungsstränge sind getilgt worden, und doch hat auch die Filmerzählung jenen Fluß, jenen gleichmäßigen Rhythmus, der den Zuschauer genauso in den Bann zieht, wie es das Buch mit dem Leser tut. Im Rahmen der vorgegebenen Möglichkeiten würde ich von einer optimalen Buchverfilmung sprechen, und wie immer sind diejenigen, die das Buch nicht gelesen haben, womöglich noch besser dran, können genießen, ohne dauernd vergleichen zu müssen. (28.3.)