Goya en Burdeos“ (Goya in Bordeaux) von Carlos Saura. Spanien/Italien, 1999. Francisco Rabal, Dafne Fernández, Maribel Verdú, José Coronado, Eulalia Ramon
Als der Maler in Bordeaux lebt, geflohen aus der unsicheren, von diktatorischen Elementen beherrschten Heimat, im Exil zusammen mit einigen Landsleuten, die auf die baldige Rückkehr hoffen, da ist er schon über achtzig, seit fünfunddreißig Jahren taub, lebt mit einer Frau und einer Tochter und vor allem seinen Erinnerungen, Träumen und Visionen. Stationen seines Lebens erscheinen vor seinem und unserem Auge: Die Tage am spanischen Hof, die Intrigen, die Heuchelei, die kleingeistige, ignorante Eitelkeit im Kontrast zur schreienden Armut des Volkes, die große Liebe zur Herzogin von Alba, deren Tod durch Gift ebenfalls Folge eines Komplotts ist, die ungeliebte, zum Aufstieg gleichwohl nötige Rolle als Hofmaler, die er dann nutzte, um kleine subversive Gemeinheiten in die Bilder einzuschmuggeln, die Bewunderung für Velasquez und Rembrandt und dann immer mehr die finsteren Launen, das zerstörerische, rauschhafte Leben hart am Tod, der Verlust des Gehörs, die wahnsinnigen Visionen, die ihren Niederschlag in unvergleichlichen Bildern finden und die ihn bis zuletzt nicht loslassen. Er stirbt in Bordeaux, der Begründer der modernen Malerei, so sagt es André Malraux im Abspann.
Ein ebenso vielschichtiges wie kraftvolles und spannendes künstlerisches, menschliches, gesellschaftliches und historisches Porträt, in dem Saura pompöse Massenszenen (auf die Konrad Wolf in seinem dennoch ausgezeichneten Goya-Film gelegentlich zurückgriff) zugunsten sparsamster Dekors, fast kammerspielartiger Reduktion und betont gestellter Spielszenen vermeidet. Storaros schon aus den beiden letzten Tanzfilmen Sauras bewährte Kamera versucht sich selbst wieder mal in Malerei und zaubert ein intensives, faszinierendes Farbenspektrum, das uns immer wieder den Atem nimmt und zugleich ein wesentliches Ausdrucksmittel bei der Erzeugung unterschiedlichster Stimmungen ist: Mal friedlich, mal zärtlich intim, mal bedrohlich, gar apokalyptisch, besonders in der langen Kriegsszene, in der sich Goyas ganzer Horror und sein buchstäbliches Mitleiden in grausamen, expressiven und von schrillen Alarmfarben dominierten Tableaus entladen. Saura nähert sich sowohl dem Menschen, als auch dem Künstler als auch dem politisch bewußten Spanier in seiner Zeit, und er tut dies mit souveräner Selbstverständlichkeit und in allen Belangen vollkommen überzeugend. Francisco Rabals beeindruckende physische Darstellung, die den alten Goya wirklich nachfühlbar macht, die schöne Intimität vieler Szenen und dann zur Abwechslung auch die heftige Wut, der unbezähmbare, schmerzhafte Wahn, all dies kommt voll zur Geltung und verbindet sich zu einem wirklich geschlossenen, brillant gestalteten und hochinteressanten Werk. Auch in seinen späten Sechzigern hat Saura nichts von seiner Kraft als Filmerzähler verloren. (26.10.)