„Gripsholm“ von Xavier Koller. BRD/Österreich/Schweiz, 2000. Ulrich Noethen, Heike Makatsch, Jasmin Tabatabai, Markus Thomas

Den Sommer 1932 verbrachte Kurt Tucholsky zusammen mit seiner Freundin Lydia und zeitweilig zwei anderen Freunden in Schweden, auf Schloß Gripsholm, zugleich Schauplatz seines später geschriebenen Romans. In Berlin werden die Brauen immer stärker, Tucholsky kriegt wiederholt Ärger mit Zensur und Behörden, erst recht, als er Soldaten als Mörder bezeichnet und dafür vor Gericht gebracht werden soll. Im fernen Schweden allerdings gibt er sich nicht als Kämpfer, sondern resigniert, verstummt, erstarrt und mutlos. Er will nicht mehr nach Deutschland zurückkehren und so fahren die Freunde nach und nach ab, auch Lydia, und er bleibt zurück und wird drei Jahre später in Schweden Selbstmord begehen.

 

Ein ästhetisch brillanter Film, toll gespielt von den Hauptakteuren und flirrend in Szene gesetzt, für meinen Geschmack teilweise fast schon zu verliebt in den Reiz der Oberfläche. Die Gesangsnummern der Tabatabai erinnern natürlich nicht von ungefähr an „Cabaret“, bis hinzu dem finalen Gruseleffekt, wenn sich immer mehr Hakenkreuze im Publikum zeigen. Zuvor aber gibt es auch eine sehr tiefgehende Charakterisierung Tucholskys, eines genialen Schreibers und Denkers, der das Furchtbare nur allzu klar kommen sah und auch frühzeitig erkannte, daß Leute wie er, Linke, Juden, kritisch denkende Leute, im Deutschland der folgenden Jahre keine Zukunft haben würden. Seine tiefe innere Spaltung wird an einem simplen Trinkspruch deutlich gemacht: Auf das was wir lieben – auf Deutschland. Auf das was wir hassen – auf Deutschland. Auf der einen Seite die Liebe und Verbundenheit, nicht zuletzt allein zur Sprache, zur Kultur, zu Berlin, auf der anderen Seite die furchtbare Erschütterung, Ernüchterung, Enttäuschung, das fast ungläubige Entsetzen angesichts des braunen Pöbels, der schön langsam aber sicher die Macht über ein ganzes Volk gewinnt. Anfänglich fallen ihm noch brillante, riskante, wortgewaltige Spottverse dazu ein, später dann überfällt ihn eine Lähmung, schließlich die schiere Sprachlosigkeit angesichts des drohenden und eigentlich für jeden denkenden Menschen deutlich herannahenden Unheils. Deshalb floh er, nicht nur ins Ausland sondern auch in die innere Immigration, in Schwermut, Melancholie, Verzweiflung, Verbitterung. Er verstieß seinen Freund Karlchen, der ihn mit stämmigen nationalen Sprüchen kränkt, brüskiert Lydia, weil er nicht schreiben und nicht wieder zurück nach Deutschland will, enttäuscht die Sängerin Billie, weil man ihn, so glaubt sie, in Berlin vermissen wird. Zwar gibt es zwischendurch heitere, luftige, unbeschwerte, auch sehr erotische Momente, und zwar läßt sich Tucholsky von Lydia dazu hinreißen, sich für ein kleines Mädchen einzusetzen, das im militärischen Drill eines Ferienlagers unterzugehen droht, doch insgesamt nimmt seine Sprachlosigkeit vorweg, was ihn letztlich in den Tod treiben wird – die Unfähigkeit, daß, was sich in Deutschland zuträgt, zu verarbeiten, zu begreifen, irgendwie in Worte zu fassen. Die handfest im Leben stehende Lydia bildet einen denkbar scharfen Kontrast zu dem scheuen Kurt, der manchmal etwas wehleidig, dann wieder hellsichtig und konsequent in seiner Pose verharrt, was um so schmerzhafter ist, da keine Liebe der Welt ihn noch einmal zurück ins Leben, sprich nach Berlin locken kann. Dieser Schmerz, diese Melancholie, liegt zart und schön über den Bildern, die mal nostalgisch, mal sinnlich und mal auch ein wenig oberflächlich wirken, aber jederzeit von den überragenden Schauspielern und der sehr dichten und konzentrierten Dramaturgie aufgefangen werden. Ein sehr schöner, komplexer und interessanter Film. (28.11.)