"The War Zone" (#) von Tim Roth. England, 1998. Ray Winstone, Lara Belmont, Freddie Cunliffe, Tilda Swinton

Der Vater, die Mutter, die Kinder Tom und Jessie sind aus London in die Provinz ans Meer gezogen. Unter dramatischen Umständen kommt ein weiteres Kind zur Welt, und dramatisch ist auch das, was Tom, ein pubertierender, introvertierter Akneboy eines Tages erfahren muß: Sein Vater mißbraucht seine ältere Schwester, und die läßt es geschehen ohne sich dagegen zu wehren. Als die Mutter mit dem Baby im Krankenhaus ist, konfrontiert Tom den Vater mit der Wahrheit. Dann tötete er ihn. Zuletzt sieht man die beiden Geschwister, wie sie sich in einem einsamen Bunker draußen auf den Klippen verschanzen.

 

Ein sehr heftiges, abgründiges Familiendrama, das von einer aufregenden, unter die Haut gehenden Mischung aus explodierenden Gefühlen und vielen unausgesprochenen Dingen und natürlich von brillanten Darstellern lebt. Der Schauspieler Tim Roth hat seinen Kollegen Raum und Zeit für gründliche, bewegenden, hochintensive Studien gegeben, und seinerseits als Regisseur dafür gesorgt, daß das oft ziemlich krasse Geschehen niemals klischeehaft oder grell sensationslüstern wirkt und auch keine Längen aufweist. Vom furiosen Auftakt - die Geburt des Babys vollzieht sich praktisch während eines schlimmen Autounfalls und hinterläßt erste blutende, äußerliche Wunden an allen Beteiligten - über Toms Entdeckung und seinen Versuchen, sich Jessie zu nähern und von ihr eine Erklärung zu bekommen, bis hin zum Finale, das lediglich den Gipfel aller vorausgegangenen Konflikte darstellt, steigert sich die Spannung beständig und die Intensität der Erzählung läßt zu keiner Zeit locker. Parallel zu dem Inzestthema kommen auch noch Toms eigene Pubertätsschwierigkeiten zu Wort, sein unsicheres Herantasten an die Sexualität. Jessie versucht Abhilfe zu schaffen und hetzt eine erfahrene Freundin auf ihren Bruder, womit sie jedoch erfolglos bleibt. Zudem mißversteht sie seine Neugier und seine Wut als Eifersucht und glaubt, selbst Gegenstand seiner sexuellen Fantasien zu sein. Sie hat sich in ihr Schicksal ergeben, läßt sich vom triebhaften Vater demütigen und versucht, den oberflächlichen Familienfrieden nicht zu gefährden, vor allem in Hinblick auf die noch recht labile Mutter und das neugeborene Baby. In wenigen sehr prägnanten Szenen wird die ganze delikate Balance einer Familie gezeigt, die empfindsamen Strukturen, das dünne Eis der Harmonie, die Sehnsucht nach Geborgenheit und die immerwährende Angst vor dem Abgrund darunter. Welchem Kind wäre es nicht schon einmal so oder so ähnlich gegangen? Schöne Bilder einer rauhen, stürmischen, düster-abweisenden Natur rings herum kommentieren und illustrieren das Zusammenleben dieser vier Menschen, die eigenartig isoliert, auch in sich selbst, zu sein scheinen. Eine beeindruckende, aufwühlende und ziemlich kompromißlose Psychostudie, inhaltlich sehr mutig und deutlich, künstlerisch auf allen Ebenen gelungen. (6.7.)