"Wege in die Nacht" von Andreas Kleinert. BRD, 1999. Hilmar Thate, Cornelia Schmaus, Henriette Heinze, Ingeborg Westphal, Dirk Borchardt

Einst in der DDR war Walter wer. Jetzt ist er niemand mehr. Er hat keine Arbeit und seine alte Arbeitsstelle, eine große Fabrik, liegt draußen vor Berlin in Trümmern und wird schrittweise weggesprengt. Nun muß seine Frau für ihn sorgen. Die alten Genossen treffen sich in Hinterzimmern, reden groß daher und gebärden sich lachhaft großspurig. Walter will was zu tun haben, und deshalb hat er sich zwei junge Menschen gesucht und geht nachts in den Berliner U-Bahnen auf Patrouille. Wenn es irgendwo Zoff gibt, greifen die beiden jungen Leute und und vermöbeln die, die sich ihrerseits an Hilflosen vergreifen. Trotzdem verliert Walter immer mehr den Halt, entfremdet sich von seiner Frau, treibt einen Schläger fast in den Tod und begeht schließlich einen Raubüberfall. Der gelingt zwar irgendwie, doch schießt sich Walter schlußendlich doch eine Kugel in den Kopf.

 

Ein Bericht über ostdeutsche Befindlichkeit zehn Jahre danach und zugleich ein faszinierendes Psychogramm von erschütternder Eindringlichkeit und Konsequenz. Hilmar Thates Gesicht, in dessen Furchen all die Enttäuschungen und Niederlagen Walters zu lesen stehen, wird man ebensowenig vergessen können wie die scharfkantigen, düsteren Schwarzweißbilder aus der nächtlichen Großstadt. Der Erzählrhythmus ist sehr ruhig, eher wortkarg und lakonisch, so wie Walter, dessen Sprachlosigkeit nur gelegentlichen, fast unartikulierten Ausbrüchen Platz macht, die Szenen knapp, präzise und denkbar unpathetisch, Szenen aus Vorstadtkneipen, engen Wohnungen, einem Gartenhäuschen, der U-Bahn oder vom Trümmerfeld der großen Fabrik, wo Walter noch immer die Echos seiner einstigen Position widerhallen hört, und wo er diese Echos mit Pistolenschüssen zu bekämpfen versucht. Immer wieder verfällt er in den alten autoritären und gleichsam autoritätshörigen DDR-Jargon, plustert sich als Ordnungskraft auf, sieht verächtlich auf die angepaßten und kriechenden Ex-Weggefährten herab und verstört seine Frau mit seinem unberechenbaren Jähzorn, seiner Bitterkeit, seiner Verzweiflung, seiner Resignation. Und so wie er präsentiert sich auch sein Umfeld, zeigt die gleichen Erschütterungen, die gleichen Umwälzungen, reagiert nur nicht zwangsläufig so heftig darauf wie er. Dennoch ist er keineswegs allein: Es finden sich beispielsweise die beiden jungen Leute, die auch auf der Suche nach dem Leben sind, und zunächst nichts besseres finden, als sich mittels ruppiger Gewalt auszudrücken, die keine andere Möglichkeit finden, ihren Hunger nach Sinn, Bestätigung und Abenteuer zu stillen. Ich kann mich persönlich an kaum ein Charakterporträt in einem deutschen Film erinnern, daß mich derartig beeindruckt und getroffen hat wie dieses, erschreckend fremd und nah zugleich, zutiefst entwurzelt und aufgewühlt und doch zwischendurch immer mit mit sehr nachvollziehbaren Regungen. Die anderen Darsteller stehen Thates großartigem Spiel indes kaum nach, sodaß ein überaus homogenes, komplettes Bild eines Films entsteht, der sich stark abhebt vom Mainstreamkino in Deutschland, der - ogottogott - sogar etwas zu sagen hat, und der dies mit Entschiedenheit, Deutlichkeit und gezügelter Wut und Emotionalität tut. Einer der besten deutschen Filme der letzten zehn Jahre. (23.2.)