„27 missing kisses“ (#) von Nana Djordjadze. Georgien/BRD, 2000. Nuza Kuchlanidze, Shaco Iashvilli, Evgeni Sidjchin
Erzählt wird die Geschichte jenes Sommers, da die vierzehnjährige Sybilla plötzlich in der kleinen Stadt am Fluß auftaucht, sich unsterblich in den einundvierzigjährigen Vater des Erzählers, eines ebenfalls vierzehnjährigen Jungen, verliebt und ihn mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln verführen will. Sie scheitert und verschwindet ebenso turbulent, wie sie einst erschien, und unserem Erzähler bleibt nur noch das Fazit, daß die schöne Wilde ihm von hundert versprochenen Küssen noch siebenundzwanzig schuldig geblieben ist.
Natürlich geht es auch noch um andere Leute hier, um die nymphomane Rothaarige der Stadt, ihre wüsten Abenteuer und ihren eifersüchtigen Kanonier, der scharf auf alles ballern läßt, was ihm irgendwie verdächtig vorkommt. Es geht auch um den erwähnten Vater, das Objekt der allgemeinen weiblichen Begierde, und seine vielfältigen amourösen Abenteuer. Es geht ferner um einen französischen Kapitän, der mit seinem Blechschiff eine Weile lang vor Anker geht, bevor er den Kahn wieder flottmachen und mit Sybilla in ferne Länder aufbrechen kann. Es geht darüber hinaus um die georgische Variante des kommunalen Kinos (zur Gaudi der meisten und zur Empörung der wenigsten Einheimischen wird das Stöhn- und Ächzwerk „Emmanuelle“ zur Aufführung gebracht), um einen überpotenten Herrn, der sich einer allzu erschrockenen Frau zuliebe beinahe in größte Kalamitäten bringt und ganz nebenbei um die reine Schönheit dieses abgeschiedenen Teilchens der Welt.
Ein wunderschöner Film, der auf typische, unnachahmliche osteuropäische Art und Weise Poesie, surreale Komik, närrische Verrücktheiten und ästhetische Hochgenüsse zu einem äußerst verführerischen, mit intensiver Erotik gewürzten, köstlich leichten und delikaten Eintopf verrührt, der den Zuschauer in einem sehr angenehmen und beschwingten Schwebezustand entläßt, in dem Wunsch, nicht allzu rasch wieder auf dem Erdboden anzukommen. Zauberhafte Bilder, die unverwechselbare Musik von Goran Bregovic (fast könnte man zwischendurch denken, den neuen Film Emir Kusturicas anzuschauen) und ein Haufen bestens aufgelegter und zum Teil höchst reizvoller Darsteller(Innen) sorgen für einen angemessenen künstlerischen Rahmen für diese Geschichte, die sich verspielt, launisch, sprunghaft und immer wieder zu neuen Clownerien aufgelegt um die Menschen in der kleinen Stadt bekümmert. Fantasie spielt die größte Rolle, die Liebe, die Begierde, die alle Maßstäbe, alle Grenzen und Regeln sprengt und sich gelegentlich einfach entladen muß. Dazu scheint ein riesiger Vollmond, glitzert der sich schlängelnde Fluß, zirpen Hügel und Felder in der heißen Sonne, tanzen grüne Schattenspiele unter Bäumen und an Häuserwänden. Die Bilder sind wie Gemälde, wie Fata Morganas, die Erotik kitzelt und funkelt und manche Szenen sind in ihrer unbeschwerten Verrücktheit so unwiderstehlich, daß man sie vielleicht etwas albern finden kann, aber dennoch unentwegt kichern muß. Ein Film, der die Gesetze der Logik und des Alltags locker überwindet, der sich auch nicht um Politik oder Gegenwart kümmert, nicht um Wahrscheinlichkeiten oder irgendeine Aussage, sondern ein Film, der ein Märchen erzählen will in märchenhaften Bildern aus einer märchenhaften Welt, die aber um Gottes Willen niemals ernst genommen, sondern stets respektlos und frech unterlaufen wird, weshalb eben jene Feierlichkeit und blöde Pädagogik fehlt, die Märchen für gewöhnlich so unerfreulich macht. Dieser Film hier ist auf alle Fälle das genaue Gegenteil davon, nämlich in größtem Maße erfreulich. (27.6.)