„Apocalypse Now – Redux“ (#) von Francis Ford Coppola. USA, 1979/2000. Martin Sheen, Marlon Brando, Robert Duvall, Frederic Forrest, Sam Bottoms, Larry Fishburne, Dennis Hopper, Aurore Clément
Nach über zwanzig Jahren liegt nun endlich eine Schnittfassung von „Apocalypse Now“ vor, die, so zitiert man den Herrn Coppola wenigstens, sich den ursprünglichen Absichten des Films am ehesten annähert, stärker jedenfalls, als die „geglättete“ Fassung (wenn man bei zweieinhalb Stunden Delirium mit solchen Begriffen operieren kann) von einst, die Coppola offenbar nur auf den Markt geworfen hatte, um nach drei Jahren endlosen Ringens überhaupt mal was vorzeigen zu können. Das Ergebnis war in der Tat beeindruckend: Nicht nur Coppolas bester Film - das ist er bis heute geblieben, denn im Folgenden hat der Mann nur noch krauses oder durchschnittliches Zeug verbrochen – sondern auch der beste Film des neuen amerikanischen Kinos, das ja Ende der Siebziger, genau wie der deutsche Film, schon wieder alt zu werden begann, und auch einer der besten Filme über Krieg schlechthin, ein Film, der weiter ging als die meisten anderen seiner Art, ein Film, der die Grenzen zwischen dem, was er zeigen will und dem, wie er wirklich ist, weitgehend aufhob, vielleicht ein Film von Leuten, die zwischendurch immer wieder erschrocken waren über das, was sie das produzierten, ein im wahrsten Sinne des Wortes abgründiger Film von Leuten, die selbst ständig in den Abgrund geblickt zu haben schienen. Ganz nebenbei sogar noch ein kongeniale Literaturverfilmung, die zwar rein faktisch sehr weit entfernt ist von Joseph Conrads “Herz der Finsternis“, die dessen Essenz jedoch selten umfassend und intensiv eingefangen und auf den Vietnamkrieg übertragen hat. Allein die Idee, diese düstere, faszinierende Novelle als Basis für einen Film über Vietnam zu verwenden, ist schon brillant, und die Umsetzung steht dahinter kein bißchen zurück.
Nun hat Coppola dem Ganzen nochmals eine dreiviertel Stunde hinzugefügt, und das sind doch schon ein paar erstaunliche Episoden, die wir plötzlich zu sehen bekommen. Zunächst wäre da eine wüste Sexszene mit der Besatzung des Patrouillenbootes und den Playboyhäschen in einem verregneten, vermatschten, total verdreckten abgelegenen Camp im Niemandsland, wo die Mädels darauf warten, endlich ausgeflogen zu werden zurück in die Zivilisation. In der Nahaufnahme mit den Jungs vom Boot sind dies längst keine coolen, sexy Glamourgirls mehr, sondern total verstörte, von Drogen benebelte verwirrte kleine Mädchen, die genau wie die Soldaten durch diesen Alptraum hindurchgleiten in einem Zustand dauerhafter Trance, vermutlich weil dies die einzige Art und Weise ist, das zu ertragen. Wer gehofft hatte, daß die Mädchen die Verbindung zwischen dem Wahnsinn des Krieges und der geordneten, heilen, vernünftigen Welt zuhause darstellen könnten, sieht sich getäuscht, denn sie sind genauso entwurzelt und entgeistert wie alle anderen – es gibt nichts und niemanden in diesem Film und in der Welt, die er zeigt, an dem man sich festhalten könnte. Die Soldaten, die im Dschungel langsam aber sicher in den totalen Irrsinn gleiten, sind Abgesandte einer Gesellschaft, die verletzlich, marode, kaputt ist und die sich eher durch Drogen und Rock’n Roll denn durch gesunden Menschenverstand definiert. Vielleicht kommt hier am deutlichsten die Handschrift des reaktionären Hardliners John Milius zum Vorschein, der leider auch am Drehbuch mitgewurstelt hat. Die zweite, wesentlich längere Episode wirkt noch skurriler und dreht die Schraube der unheimlichen Entdeckungsfahrt ein ganzes Stück weiter. Die mittlerweile dezimierte Besatzung trifft auf einen letzten Außenposten der alten französischen Kolonialherrschaft mitten im Dschungel, nämlich auf eine Plantage, die von ihren Besitzern verbissen und mit letzter Entschlossenheit verteidigt wird. Willard hört sich das Credo dieser stiernackigen Kolonialisten an: Wir haben den Weltkrieg verloren, wir haben in Dien Bien Phu verloren, wir haben in Algerien verloren, wir haben Indochina überhaupt verloren, aber hier, hier verlieren wir nicht. Und wer auch immer des Weges kommt – Vietcong, Südvietnamesen und sogar Amerikaner, wir beschossen und getötet. Ein halb verfallenes, gruseliges, von Zombies bewohntes Relikt aus alter Zeit. Auch Willards erotische Begegnung mit der Tochter des Hauses wirkt eher ätherisch und unwirklich – wieder sind Drogen im Spiel, wieder versetzen sich die Beteiligten in einen Rausch, heben ab vom Boden der Realität, sofern sie sich überhaupt noch dort befanden. Die Szenen mit Marlon Brando alias Kurtz sind auch leicht verlängert, fügen dem Ganzen aber nichts wesentlich Neues mehr hinzu. Einmal mehr wird man auf eindrucksvollste Weise daran erinnert, daß dieses grausame, despotisch herrschende Monstrum eine akkurate Ausgeburt dieses perversen Krieges ist, ein Mann, der das Grauen gesehen und darauf nur so mörderisch reagieren konnte, weil er nirgendwo mehr Halt finden konnte und das zu verkraften, was er mitangesehen und auch selbst getan hat. Zwar wirkt Brandos Figur ziemlich stilisiert und irgendwie künstlich, doch steckt in vielem von dem, was er aussagt und geschrieben hat, eine essentielle und jederzeit allgemein gültige Betrachtung des Krieges, seiner Folgen, seiner Verheerungen, die sich nicht nur in Toten und Trümmern bemessen lassen, sondern auch in dem, was er im Innenleben der Überlebenden angerichtet hat. Denn von dort kommen die nächsten Toten, die nächsten Kriege, die nächsten größenwahnsinnigen Diktatoren, und es bleibt den fleißigen Chronisten nur noch übrig, das Maß der Eskalation zur Kenntnis zu nehmen. Längst ist klar, daß alle Kritik, die Coppola einst eine Ästhetisierung, Verherrlichung oder auch Verharmlosung des Kriegsgeschehens vorgeworfen hat, weit am Thema vorbei geht, und diese neue Schnittfassung bestätigt das absolut. Es geht tatsächlich um eine Reise ins Herz der Finsternis, ins Herz des Krieges, ins Herz der Barbarei, die nichts anderes ist, als das Skelett dessen, was sich ansonsten Menschheit nennt, und nur ganz wenige Filme sind ihrem Inhalt, ihrem Anspruch, ihren Absichten derart authentisch und fast beängstigend distanzlos nahegekommen wie dieser. Wie ich schon sagte – Coppolas Meisterwerk, zumindest für mich, der ich für Mafiageschichten eben nicht so empfänglich bin. (20.11.)