„Berlin is in Germany“ von Hannes Stöhr. BRD, 2001. Jörg Schüttauf, Julia Jäger, Oscar Martinez, Robin Becker, Edita Malovcic, Tom Jahn, Valentin Platareanu, Robert Lohr

Martin Schulz kommt nach mehr als elf Jahren aus einem Knast in Brandenburg frei und fährt zurück nach Berlin. Wenn man nachrechnet, fällt auf, daß Martin während seiner Haft ein kleines politisches Ereignis verpaßt hat, und mit den Folgen sieht er sich nun schlagartig konfrontiert: Nicht nur sieht die Stadt gar nicht mehr wie früher aus, das Geld sieht auch anders aus, die Fahrscheinautomaten stellen ihn vor unlösbare Rätsel und an jeder Ecke und in jeder Jackentasche piept so ein komisches, kleines Telefon vor sich hin. Martin macht sich auf die Suche nach alten Freunden und findet sie mehr oder weniger entwurzelt, in irgendwelchen neuen Jobs oder sonstwie in der Klemme. Er macht sich auch auf die Suche nach seiner Exfrau Manuela und seinem Sohn Rocco und findet beide in den Händen eines neuen Mannes aus dem Westen, dem offiziellen Vater seines Sohnes, den er selbst nie kennengelernt hat. Martin fängt an zu kämpfen: Um seinen Sohn, um seine Ex, um eine neue Existenz, aber der Kampf ist nicht einfach und von reichlich Rückschlägen begleitet. Er wohnt im Hotel und läßt sich vom alten Knastbruder Viktor in einem Sexshop anstellen. Ein anderer Freund von früher ist jetzt Taxifahrer und das will auch er werden, doch er vorbestraft ist, hat da keine Chance. Im Sexshop kriegt er Probleme, weil Viktor Geschäfte mit illegalen Schweinevideos macht und die Polizei ausgerechnet ihn, den vorbestraften Ossi erwischt. Er landet wieder im Knast, doch nun wendet sich plötzlich das Glück: Manuela wechselt wieder auf seine Seite, Rocco hängt schon sehr an ihm und Viktor stellt sich freiwillig, wodurch Martin entlastet und wieder freigealssen wird. Vielleicht wird er im freien Westen ja doch Anschluß finden.

 

Ein Film mit einer tollen Grundidee, einem tollen Hauptdarsteller, mit dem wir uns sofort und gleichbleibend identifizieren können, und vielen sehr schönen Einzelszenen, aber leider als Ganzes für mich etwas enttäuschend, weil er in neunzig kurzen Minütchen soviel auf einmal unterbringen will, daß zwangsläufig am Ende gar nichts richtig fertig wird. Zu häufig ergeht er sich in nebensächlichen Randgeschichten und zu häufig löst er selbige merkwürdig banal oder platt auf. Die halbe Romanze mit einer Nutte vom Balkan zum Beispiel, seine Scharmützel mit großmäuligen Nazis (hier gibt’s sogar ganz unpassenden Klamauk), und auch die Geschichte, die Manuela der Bewährungshelferin erzählt, und die erklärt, daß Martin eigentlich kein so schlechter Kerl ist, wie die Strafe vermuten ließe – die Mord war nämlich eigentlich nur ein dummer Unfall -, die aber für uns ganz unwichtig ist, denn es kommt nicht gar darauf an, was früher war und ob Martin nun zu Recht oder zu Unrecht gesessen hat. Ärgerlicherweise verliert der Film immer wieder den Faden und unsere Aufmerksamkeit und verschenkt vor allem vielversprechende Gedanken und Konstellationen. Martins Konfrontation mit einer neuen Welt hätte fast schon einen ganzen Film ergeben können, seine Rückkehr ins alte Milieu, die Begegnung mit alten Freunden und dem, was in elf  Jahren Wende aus ihnen geworden ist, essentielle Schicksale aus dem Osten und jederzeit Stoff für einen essentiellen Film. Und eigentlich hätte ich persönlich am liebsten sowieso nur Jörg Schüttauf und Julia Jäger zugeschaut, denn die beiden spielen fantastisch zusammen, ihre gemeinsamen Szenen gehen so richtig schön unter die Haut, eine zart angedeutete Annäherung, sein fragendes Gesicht, ihr unsicherer, verwirrter Blick – überhaupt erzählen die beiden allein mit ihren Blicken alles, was es zu erzählen gibt. In diesen Momenten hat der Film die Klasse, die er hätte haben können, aber zuviel Drumherum hat diese schönen, enorm intensiven Augenblicke ein wenig verschüttet. Zur Hälfte also ein schöner, gefühlvoller und sehr menschlicher Ost-West-Film, den dieses Land noch immer dringend braucht, zur anderen Hälfte leider eine Sammlung unausgegorener Episoden, was hier besonders schade ist. (30.11.)