„Black Box BRD“ von Andres Veiel. BRD, 2001.
Ein Dokumentar- oder man könnte auch sagen Gesprächsfilm über zwei Männer, die innerhalb von vier Jahren in – oder man könnte auch sagen an der BRD gestorben sind: Der eine wird mit seinem Auto 1989 in die Luft gesprengt und zwar von der RAF, die sich später dazu auch bekennt. Der andere stirbt 1993 irgendwie durch eine Kugel auf einem Provinzbahnhof, und zwar vielleicht durch die Kugel eines Polizisten, doch niemand bekennt sich später dazu. Der eine ist zum Zeitpunkt seines Todes Vorstandssprecher der Deutschen Bank. Der andere ist zum Zeitpunkt seines Todes Mitglied der RAF und lebt als solches im Untergrund. Der eine heißt Alfred Herrhausen. Der andere heißt Wolfgang Grams.
Der Film bekommt eine fast gespenstische Note dadurch, daß man mittlerweile und ganz aktuell Grams‘ Mittäterschaft am Herrhausenattentat bewiesen haben will und damit natürlich endlich klar ist, daß man gottseidank damals den richtigen totgemacht hat. Oder vielleicht war es doch nur ein Unfall – egal, der Film macht sich gar nicht die Mühe, über diese einst heiß diskutierte und dann auf irgendwelchen Kanälen einfach totgeschwiegene und ausgesessene Frage zu spekulieren, er ist viel eher am Atmosphärischen und Menschlichen interessiert und beweist dabei ein großes Feingefühl und eine ebenso beachtliche Objektivität. Es kommen zu Wort die Witwe Herrhausens ebenso wie die Eltern Grams‘, Freunde auf beiden Seiten, wobei die Grams-Freunde natürlich sehr großen Mut beweisen, denn nach wie vor ist es fast schon ein gesellschaftlicher Suizid, sich als Freund eines Terroristen zu outen. Es reicht ja schon, wenn man mit so einem mal gefrühstückt hat. Veiel ruft Erinnerungen wach, manche plastisch und bewegt, andere distanziert, manche mit ein wenig schlechtem Gewissen oder Rechtfertigungsdrang, andere wieder selbstgefällig und jederzeit subjektiv eingefärbt. Es entsteht ein Bild von zwei Männern, die auf genau gegenüberliegenden Seiten einer einst gespaltenen Gesellschaft zuhause waren. Der eine repräsentierte smart und weltgewandt das Establishment, den Jet-Set, die große weite Welt der internationalen Wirtschaft, der andere repräsentierte den Aufrührer aus kleinem Hause, der sich nach und nach von allen Freunden distanziert, weil die seine Radikalität nicht mehr nachvollziehen wollen. Aber es gibt kein schlichtes Schwarz-Weiß-Muster, keine billige Polemik, keine simplen Wertungen. Herrhausen erscheint genau wie Grams als Privatmensch mit guten und weniger guten Seiten, als Vater und Ehemann, als ehrgeiziger und statusbewußter Streber, aber auch als dynamischer, progressiver Neuerer, der gar nicht so ein kaltschnäuziger Hardliner war, wie man es vielleicht gern hätte auf linker Seite. Sein Tod ist genau wie der von Grams tragische Vergeudung von Menschenleben, ob nun für eine Idee oder sonstwas, ist ganz schnuppe, sie sind tot, sie hinterlassen trauernde Menschen, und durch ihren Tod haben sie nichts und niemandem irgendwie genutzt und nichts und niemand hat sich irgendwie verändert. Dies macht der Film ganz klar und damit ist er natürlich auch eine tiefgründige und komplexe Meditation über ein Stück bundesdeutscher Geschichte, die späten Siebziger und Achtziger, die bis heute quälend ungeklärte Frage nach Schuld und Verantwortung, nach Legitimation, nach Macht und dem Recht auf Widerstand dagegen. Aber eben nicht aus der Vogelperspektive des Historikers, sondern aus der Sicht der nächsten Angehörigen, betroffener Menschen, die jeder für sich mit Bildern und Erinnerungen herumlaufen, aus denen Veiel dann collageartig das Porträt der zwei Männer angefertigt und damit den Zeitungs- und TV-Meldungen die dringend notwendige menschliche Dimension hinzugefügt hat. Beeindruckend, spannend, bewegend – schön, auch mal wieder einen guten Dokumentarfilm im Kino sehen zu können. (19.6.)