„Bread and Roses“ (#) von Ken Loach. England/Spanien/BRD, 2000. Pilar Padilla, Adrien Brody, Eldipia Carlo, George Lopez, Jack McGee, Alfonso Chavez, Monica Rivas

Maya kommt über die grüne Grenze aus Mexiko in die Staaten und landet mit Glück, denn fast wäre sie den Schleppern in die Hände gefallen, bei ihrer Schwester Rosa in L.A. Die besorgt ihr einen Job als Gebäudereinigungskraft in einem großen, renommierten Bürokomplex in der City. Dort wiederum lernt sie Sam kennen, einen engagierten Gewerkschaftsmann, der zunächst ihr und dann auch den KollegInnen erläutert, wie der Hase eigentlich läuft: In den vergangenen zwanzig  Jahren wurden nicht nur die Stundenlöhne der Arbeiter um fast drei Dollar gesenkt, es wurden auch sämtliche Zusatzleistungen gestrichen, hauptsächlich die wichtigen Krankenversicherungen, ein infames und rücksichtslos ausbeuterisches Vorgehen, das sich die Arbeitgeber jederzeit erlauben konnten, denn ihre Untergebenen, zumeist illegale Einwanderer aus dem Süden, waren weder in der Lage noch auch nur gewillt, sich diesen Maßnahmen entgegenzustellen, denn erstens brauchten sie unbedingt einen Job und zweitens hatten sie kein Interesse daran, möglicherweise die Behörden aufmerksam zu machen. Maya erlebt immer wieder, wie diese Praxis im Alltag umgesetzt wird: Ohne Rücksicht auf die persönliche oder familiäre Situation werden Menschen geheuert und gefeuert ganz nach dem Belieben der Bosse, die ihre Macht genießen und nicht selten mißbrauchen. In einem langen Gespräch erzählt Rosa ihrer Schwester die ganze grausame Geschichte, und unter anderem erfährt Maya, daß Rosa mit dem Vorarbeiter geschlafen hat, nur damit sie in der Firma unterkommen konnte. Es kommt schließlich, gegen den Widerstand einiger KollegInnen, zum Arbeitskampf, der die Demonstranten zwar zunächst ins Gefängnis, letztlich aber auch zum Sieg führt, denn sie werden höhere Löhne und zusätzliche Sozialleistungen erhalten. Maya hilft das nicht mehr viel: Sie hatte eine Tankstelle ausgeraubt, um einem Freund das letzte nötige Geld für ein Stipendium zu besorgen und wird deshalb nun wieder ausgewiesen.

 

Ken Loach hat scheinbar der Heimat für eine längere Zeit den Rücken gekehrt, hatte zunächst in Spanien gedreht, dann in Nicaragua und nun in den USA. Wer daran Anstoß nimmt und das gewohnte britische Ambiente vermißt, wird spätestens dann ins Unrecht gesetzt, wenn er sich die Filme selbst anschaut, denn die sind eigentlich um gar nicht schwächer oder weniger überzeugend als die in England gedrehten Werke. Für „Bread and Roses“ gilt das genauso und in vollem Umfang – ein wunderbarer, mitreißender, zutiefst engagierter, menschlicher, aus vollem Herzen gedrehter Film, der einige derart emotionale Moment hat, daß er fast die Leinwand zu sprengen scheint. Loach dreht noch immer Filme aus Überzeugung, und diese Überzeugung ist klar und deutlich links, auf der Seite der Ausgebeuteten, Unterdrückten, Unterprivilegierten, der Illegalen, Arbeitslosen, Armen, der Kämpfenden, derjenigen, die für etwas stehen und deshalb zu leiden haben. All diejenigen, die das für altmodisches, naives, pseudobetroffenes Kino eines ewig gestrigen Altlinken haben, mögen bitte den Kinosaal augenblicklich räumen, denn sie haben in der Tat hier nichts verloren. Für sie macht Loach diese Filme nicht und auch nicht für die, die glauben, ein Regisseur bevormunde seine Zuschauer, wenn er nur seine persönliche Meinung offenbare. In diesem, wie auch in jedem anderen Film von Ken Loach, steckt, man verzeihe den doofen Ausdruck, Herzblut und ein klares, kompromißloses, unmißverständliches ideologisches Bekenntnis. Loach liebt seine Protagonisten, er möchte ihnen nahe sein, sie eng begleiten auf ihrem Weg, möchte ihre Gefühle erleben, ihre Angst, ihre Verzweiflung, ihre Wut, ihren Mut, ihre Hoffnung, ihre Verbitterung, ihre Liebe, und er hat einmal mehr fabelhafte Schauspieler gefunden, ganz unverbrauchte Laien vielfach, und Barry Ackroyds bewährter, direkter, schnörkelloser, fast dokumentarischer Kamerastil ist wie immer ein unverzichtbares Mittel auf dem Weg zu maximaler Intensität. Gemeinsam mit Maya erforschen wir die Verhältnisse, die sie in den USA antrifft, und für die Loach deutliche, unmißverständliche und harsche Töne findet, die erbärmliche Situation der vielen Gastarbeiter, die schändliche Ausbeutung durch profitgierige Konzerne, der Status völliger Recht- und Hilflosigkeit als Menschen niederer Ordnung in God’s Own Country,  die menschlichen Schicksale, die sich hinter den Namen aus Guatemala, Mexiko oder sonstwoher verbergen. Das erwähnte Gespräch zwischen den beiden Schwestern stellt für mich den eindeutigen emotionalen Höhepunkt des Films dar, eine unglaublich intensive Szene, die bis zum bitteren Ende durchgezogen wird und die fast zu Tränen bewegt, so eindrucksvoll und nahe wird uns das Erlebte gebracht. Rosa erzählt von ihren fünf Jahren als Hure in Tijuana, von ihren Anfängen in den USA und immer wieder davon, daß sie sich von Männern benutzen lassen mußte, um irgendetwas zu erreichen und vor allem, um ihre Familie daheim satt zu bekommen, und damit erzählt sie nicht nur ihre eigene Geschichte, sondern fast die Geschichte eines ganzen Kontinents. In Mayas ungläubiger Bestürzung spiegelt sich unsere eigene Fassungslosigkeit über dieses Leben und über die gleichzeitig vermittelte Einsicht, daß dieses Schicksal alles andere als ein Ausnahmefall ist. Und wenn Loach die demonstrierenden Arbeiter letzten Endes gewinnen läßt, zumindest mal für den Augenblick, so kann noch lange nicht von einem optimistischen oder gar geschönten Fazit die Rede sein, denn ein paar Minuten später sitzt Maya schon im Bus nach Mexiko, und es ist sehr fraglich, ob sie ihre Schwester und die anderen lieb gewonnenen Menschen jemals wiedersehen kann. Dennoch bleibt der Appel Sams stehen: Organisiert euch, wehrt euch, kämpft um eure Rechte. Daß jemand sich in den coolen, egozentrischen und denkbar unengagierten Zeiten von heute hinstellen und solche Sätze proklamieren läßt, zeugt allein schon von sehr viel Mut und unverdrossenem Glauben an die Sache(oder eben Naivität, wenn man‘s unbedingt negativ sehen will). Dabei hat Loach die großen Sprechblasen gar nicht nötig, denn seine Menschen und ihr Milieu werden so authentisch, natürlich und unsentimental präsentiert, daß sie für sich selbst sprechen, daß ihre Blicke und die Art, wie sie leben müssen, schon viel mehr sagen als viele Worte. Dies ist sozialkritisches, engagiertes, humanes Kino der alten Schule, Kino wie ich es liebe. Ganz abgesehen davon ist es aber auch noch ein großartiger Film. (14.11.)