„Das Experiment“ von Oliver Hirschbiegel. BRD, 2000. Moritz Bleibtreu, Maren Eggert, Christian Berkel, Justus von Dohnanyi, Oliver Stokowski, Edgar Selge, Andrea Sawatzki
Die Zeitungsannonce lockt: 4000 DM für freiwillige Männer, die bereit sind, vierzehn Tage lang als Versuchskaninchen für die Verhaltensforscher herzuhalten und ein Planspiel durchzuführen, in dem die eine Hälfte die Gefängniswärter und die andere Hälfte die Insassen sind. Der Auftrag an die Wärter lautet: Ruhe und Ordnung halten, keine Gewalt, keine Übergriffe, sonst wird der Versuch abgebrochen. Die Maßgabe über die Insassen: Disziplin, Ruhe und den Anordnungen der Wärter unbedingt Folge leisten. Die Damen und Herren Wissenschaftler an ihren Monitoren im Überwachungsraum sind selbst recht überrascht und zugleich konsterniert, als sie feststellen, daß sich bereits nach drei Tagen eine Atmosphäre aufgebaut hat, in der Gewalt, Erniedrigung, Haß und Aggressionen kaum noch zu unterdrücken sind und in dem die menschlichen Grundrechte mehr denn je in Frage gestellt werden. Und als die Weißkittel dann endlich eingreifen wollen, ist es schon zu spät: Die Wärter, berauscht von ihrer plötzlich gewonnenen Macht, reißen die Kontrolle an sich und es kommt zu einem blutigen Kampf, in den zwei Menschen ihr Leben verlieren und einige andere wohl für lange Zeit oder immer geschädigt bleiben werden.
Ein sehr stark wirkender Film, der alle Sinne sehr laut und heftig angreift, mit plötzlichen Lärm- und Bildattacken, um dann aber wieder Szenen von quälender und beträchtlicher Spannung zu schaffen. Die gründliche und sehr sorgfältig aufgebaute Verhaltensstudie zeigt beklemmend drastisch, wie schnell sich totalitäre, faschistoide Strukturen entwickeln können, sobald ein klar vorgegebenes Machtgefälle herrscht: Den Wärtern wird alle Macht gegeben, sie erhalten die Uniformen, die Schlagstöcke, die Handschellen, die Schlüssel und die Autorität, nach eigenem Belieben über die anderen verfügen zu können. Anfänglich benehmen sich die Männer wie alberne kleine Jungs, mal verlegen, mal blöd, unsicher, wie sie sich verhalten sollen, was genau von ihnen erwartet wird. Doch die Fronten sind recht bald geklärt, die einen haben das Sagen und die anderen müssen parieren. Klar, daß einige aufmucken und auch klar, daß bald die ersten Irritationen auftauchen, daß die Grenzen zwischen Spaß und Ernst bald verwischen, zumal einige der Wärter ziemliches Vergnügen an ihrem Job bekommen. Der weitere Verlauf der Eskalation zeigt exemplarisch und plastisch, wie sich Menschen verhalten, die unterdrücken und die unterdrückt werden. Die einen kuschen und fressen ihre Angst in sich hinein, andere verhalten sich ruhig und warten ab, wieder andere mucken auf, provozieren, fordern die Wärter heraus in dem Glauben, daß das Spiel jederzeit im gesteckten Rahmen – keine Gewalt – bleiben wird. Wie die Beobachter können auch sie sich nicht vorstellen, daß einige der Wärter die Grenze überschreiten könnten. Doch unter denen findet sich auch die ganze Palette: Den faschistoid und sadistisch veranlagten Machtausüber, den opportunistischen, schlichten Schläger, das Großmaul, das dann über sich selbst erschrickt, die willfährigen Mitläufer und den einen, der menschlich bleiben will, aber gegen die allgemeine Gewalt keine Chance hat und am Ende selbst zuschlägt. Man sieht daran, daß das Personal hier recht modellhaft angelegt ist, was aber nicht so sehr stört, da sich die Klischees zumeist im Rahmen halten (auch wenn Oliver Stokowski von Anfang an ein sehr sehr offensichtliches Opfer ist) und die Schauspieler überzeugen können, wenn ich persönlich auch beim Herrn Bleibtreu Abstriche machen muß, denn sein Dackelblick will mir nicht so recht zu seinem solchen Film passen. Außerdem besticht der Film besonders als eine Gruppenstudie, genauer als eine Männerstudie, den vieles von dem, was hier vorgezeigt wird, ist sicherlich eher charakteristisch für Männer als für Frauen: Die Lust am Dominieren, daran, andere beugen, demütigen, brechen zu können, anderen den eigenen Willen aufzuzwingen, kurz: Unbegrenzte Macht zu haben. Wie sich dann einige der Männer hier verändern im Laufe der Tage, wie sie Hemmungen fallen lassen, Grenzen genußvoll überschreiten, letzte Gesetze der Zivilisation in den Dreck treten und lieber vergewaltigen und foltern, ist beängstigend und sehr gut dargestellt. Eine der stärksten Aspekte des Films, den man selten so eindrucksvoll präsentiert sieht. Wirklich störend ist nur die Romanze Bleibtreus mit einer eher farblosen Schicki-Micki-Tante, die vielleicht dafür sorgen soll, daß die Intensität nicht unerträglich wird, oder daß die Frauenquote gewahrt bleibt oder was weiß ich. Die gelackten Bilder zur gelackten Musik habe ich jedenfalls eher als störend empfunden und hätte gern darauf verzichtet. Der zweite Mangel liegt im sehr übertriebenen Showdown, in dem sich Gewalt und Horror dann bedrohlich verselbständigen, so sehr, daß die eigentliche Botschaft für kurze Zeit mal aus dem Blickfeld gerät. Diese brutale Eskalation mag vielleicht innerhalb der Geschichte einigermaßen nachvollziehbar sein, doch hätte man sie keineswegs so aufdringlich, genüßlich und spektakulär ins Bild bringen müssen in der Art eines beliebigen Actionfilms, was der hier ja eigentlich wohl nicht sein möchte. Diese zwei Aspekte weisen auf den offensichtlich notwendigen Spagat zwischen Anspruch und Kommerz hin, so als würde das Publikum unweigerlich ein bißchen Sex und viel Gewalt benötigen, um überhaupt wohlwollend zu bleiben. Manchmal aber kann man den Leuten schon etwas mehr zutrauen – sich selbst übrigens auch. Dennoch, trotz dieser deutlichen Schwächen, ist der Film extrem spannend und dicht, hervorragend aufgebaut und in seinen stärksten Augenblicken sehr klar und deutlich in der Aussage. Gut gemeint also, und über weite Strecken auch sehr gut gemacht, aber (leider) auch den Gesetzen des Marktes unterworfen. (30.3.)