„The Claim“ (Das Reich und die Herrlichkeit) von Michael Winterbottom. England/Kanada/Frankreich, 2000. Wes Bentley, Sarah Polley, Milla Jovovich, Peter Mullan, Nastassja Kinski
Die erste Frage, was um alles in der Welt nämlich der doofe deutsche Titel soll, kann man schnell abhaken, denn doofe deutsche Titel ohne Sinn und Verstand sind halt an der Tagesordnung. Vielleicht was da jemand im Verleih fromm veranlagt, vielleicht hat auch jemand von Graham Greene geträumt, egal, doof ist der Titel und doof bleibt er.
Die zweite Frage allerdings, was um alles in der Welt Michael Winterbottom veranlaßt haben mag, jenen großartigen, grimmig-kompromißlosen Roman von Thomas Hardy („Der Bürgermeister von Casterbridge“ heißt er übrigens) in die Sierra Nevada/Kailfornien zur Zeit nach dem großen Goldrausch, in die 60er Jahre des 19. Jahrhunderts zu verlegen, bleibt auf den ersten Blick unbeantwortet und unergründlich. Auch auf den zweiten Blick noch, aber da ist es schon egal, da hat mich der Film schon gefangen in seinem Sog, da habe ich den Roman schon vergessen und das fiktive Wessex von Thomas Hardy und die Tatsache, daß ein Thomas-Hardy-Film, der nicht in Wessex angesiedelt ist, eigentlich kein Thomas-Hardy-Film sein kann und so weiter. Winterbottom hat schon mal Hardy verfilmt, „Jude the Obscure“ nämlich, mit Christopher Ecclestone und Kate Winslett, und das war ein weitaus werkgetreuerer und hervorragender Film. Dieser Film hier wurde, wie im Nachspann ehrlicherweise vermerkt ist, nur von Hardys Roman inspiriert, und er ist grandios, episch, tragisch, berauschend fotografiert und musikalisch begleitet von Michael Nymans genialer Musik, und er hat genau diesen Winterbottom-Touch, den alle seine Filme haben, und seien sie noch so verschieden, denn das sind sie allemal. Ein rauher, sperriger, sehr naher, direkter Stil, die Kamera unruhig und dicht dran, launische Sprünge zwischen einer fast elliptischen Erzählweise und lang und schön ausgespielten Momenten und eine ebenso launische Charakterführung: Mal lassen diese Menschen all ihre tiefsten Emotionen heraus, dann wieder erscheinen sie verschlossen, rätselhaft, spröde: Der reiche Mann, dem die ganze kleine Stadt Kingdom Come gehört, der einst, um an das Gold zum Bau eben jener Stadt zu kommen, Frau und Kind regelrecht verkaufte. Seine Geliebte, die Puffmutter, Sängerin mit portugiesischem Blut und portugiesischer Sehnsucht, die ihn zwar verliert, die aber gelernt hat, Geschäfte zu machen und am Schluß selbst eine Stadt baut. Die todkranke Frau, die mit ihrer Tochter nach Kingdom Come kommt, um den reichen Mann zu konfrontieren und für die Zukunft des gemeinsamen Kindes zu sorgen. Der junge Landvermesser, der für die unentwegt vorrückende Eisenbahn arbeitet und bei der jungen Hope wohl doch mal ein Zuhause finden wird. Und eben jene junge Hope, die innerhalb kürzester Zeit ihre Mutter verliert, ihren Vater kennenlernt, ihn dann auch verliert und sich dennoch der Zukunft stellen wird. Neben all diesem ist es auch ein Film über Amerika, über die Pioniertage, über die Eroberung des Landes, über die Nachwehen des Goldrausches und was er mit den Leuten angestellt hat. Manchmal erinnern Teile der Geschichte fast an Sergio Leones großen Film von einst, wo es auch um die Eisenbahn ging, das Sinnbild der Zivilisierung des großen wilden Landes, um den Traum vom Ozean, den Traum vom großen Reichtum. Und ganz gleich, was geschieht und wieviele Menschen ihr Leben lassen müssen, die Überlebenden schreiten immer voran, steigen einfach über die Toten hinweg, besorgen ihnen bestenfalls ein feierliches Begräbnis und dann geht’s weiter, die Augen stur geradeaus. Soeben ist Kingdom Come bis auf die Grundmauern abgebrannt und sein Erbauer und Besitzer erfroren im Schnee aufgefunden worden – da entdeckt jemand Gold in den rauchenden Trümmern, und sogleich raufen und prügeln sich die Männer wie Hyänen um das Zeug, für das sie vor einigen Jahren buchstäblich alles hergegeben hätten. Darin liegt das ganze Geheimnis Amerikas und seines Erfolges – nicht zurückblicken, keine falschen Hemmungen und Rücksichten, es geht nach vorn, koste es, was es wolle. Winterbottom hat dies, wie alles andere hier auch, wunderbar herausgestellt, ohne dabei auf laute Töne oder andere Ausrufezeichen zurückgreifen zu müssen. Der Film besticht durch seine Eindringlichkeit, seine atmosphärische Intensität, die großartigen Schauspieler, die faszinierend dargestellten Emotionen, doch er vermeidet jegliche Sentimentalität, jeglichen Kitsch. Zwar greift er gern und mit größter Wirkung auf imposante Landschaftstableaus zurück, doch zeigt er immer auch den Menschen darin, seine unermüdlichen und aus der Ferne manchmal recht grotesk wirkenden Anstrengungen, diesem Land Reichtum, Gold, Wasser, Brücken, Straßen, Dämme abzuringen. Die Landvermesser sind ein besonders deutliches Sinnbild für diese letztlich selbstzerstörerische Rastlosigkeit und sie finden erst Frieden, wenn sie sich irgendwo niedergelassen haben, wofür dann wiederum natürlich die Frauen zuständig sind. Milla Jovovich hat zudem ein bißchen die Rolle von Claudia Cardinale: Sollen doch die Männer zugrunde gehen oder sonstwas anstellen, sie bleibt dicht am Ball, verliert ihr Ziel nie aus den Augen und erreicht es am Schluß selbstverständlich auch. Der Film ist damit auf beiden Ebenen bestens gelungen, als wuchtiges, beeindruckendes zwischenmenschliches Drama und zugleich als Bild seiner Zeit, einer bestimmten Epoche, und er ist allgemein auch sonst ganz große Klasse. (19.11.)