„La stanza del figlio“ (Das Zimmer meines Sohnes) von Nanni Moretti. Italien/Frankreich, 2001. Nanni Moretti, Laura Morante, Jasmine Trinca, Guiseppe Sanfelice, Silvio Orlando
Das Leben des Psychiaters Giovanni und seiner Familie – Frau, Tochter, Sohn – wird in den Grundfesten erschüttert, als der Sohn Andrea durch einen Taucherunfall ums Leben kommt. Die Mutter Paola verzweifelt in ihrer Trauer, er verschließt sich häufig in Selbstmitleid, die Ehe bröckelt, man geht auf Distanz, kühlt ab, weiß sich nichts mehr zu sagen oder explodiert bei jeder Kleinigkeit. Schließlich erfahren die drei von einer Ferienbekanntschaft Andreas und nehmen Kontakt zu dem Mädchen auf. Es ist mit einem anderen Freund unterwegs die Küste rauf nach Frankreich, Kurzentschlossen bringt man die beiden über die Grenze und bleibt dann am morgendlichen Strand zurück.
Man muß wahrlich keine eigenen Kinder haben, um von diesem Film tief bewegt zu sein und man muß auch nicht selbst schon mal solch einen Verlust erlitten haben oder ständig in Angst davor leben müssen, um einfach mitfühlen zu können mit dem, was hier gezeigt wird, mitfühlen mit den drei verbliebenen Menschen, die vor unseren Augen darum kämpfen, irgendwie mit der Trauer fertig zu werden, wieder zueinander zu finden und zurück ins Leben. Moretti bleibt bei alldem immer bemerkenswert dezent - weder sind die anfänglichen Szenen des ganz durchschnittlichen, mehr oder weniger ungetrübten Zusammenlebens einer durchschnittlichen vierköpfigen Familie irgendwie verkitscht oder zu schön, noch erschlägt uns Moretti im zweiten Teil mit Emotionen, die wir nicht verkraften können. Natürlich spürt man einen tiefen, einschneidenden Bruch, sieht ihn in den Bildern, aus denen die Farbe gewichen zu sein scheint, sieht ihn in den Gesichtern der großartigen Schauspieler, in ihrer Ohnmacht, ihrer Verzweiflung, ihrer Wut, ihrer blassen Hilflosigkeit, ihrer Fassungslosigkeit, ihrer Gelähmtheit. Der leise, oft liebevoll ironische Humor des ersten Teils ist einem ernsten, gesetzten, einfühlsamen, diskreten Tonfall gewichen. Moretti macht schmerzhaft deutlich, immer wieder, was so ein Todesfall anrichtet – nichts ist mehr, wie es war, das Leben in allem verändert sich, leider auch das Zusammenleben, es wird beschwert, belastet, bedroht durch unkontrollierbare Gefühle, durch Selbstvorwürfe, durch das ewige quälende „Was wäre wenn..“. Der Psychiater, der sonst so stoisch und geduldig seinen skurrilen Patienten zuhören muß, gerät selbst aus der Fassung, sieht sich nicht mehr imstande, seinen Beruf auszuüben. Der Film ist deutlich ein Film aus seiner Perspektive, er ist uns durchgehend am nächsten, öffnet sein Innerstes am meisten, und auch wenn wir das Leiden der anderen beiden Familienmitglieder erkennen und nachfühlen, artikuliert sich Moretti vornehmlich durch diese Figur, nicht zuletzt dadurch natürlich, daß er sie selbst spielt und sich sichtlich mit ihr identifiziert, wobei ich jetzt auch nirgendwo gelesen habe, ob ein autobiografischer Bezug vorliegt oder nicht. Auch wird hauptsächlich die Vater-Sohn-Beziehung thematisiert, die wenigen, kostbaren Momente bewußt erlebter Nähe, das gemeinsame Joggen etwa, hier und da eine kurze Geste, und dabei das Sehnen des Vaters nach mehr Vertrautheit, seine gelegentlichen Versuche, den fast erwachsenen Sohn wieder stärker an sich zu binden und schließlich nach dem Unglück der irrsinnige Schmerz in dem Bewußtsein, wieviel man versäumt, wieviele Gelegenheiten man achtlos und ungenutzt gelassen hat, die bitteren und für die Umwelt schwer erträglichen Selbstvorwürfe, daß man vielleicht als Vater versagt hat. Seine Frau, die sonst so ruhig und balanciert gewirkt hat, wirft ihm Selbstsucht vor, kann nicht auch noch seine Probleme bewältigen, entfremdet sich von ihm, weil sie sieht, daß die beiden in dieser Situation keinen Zugang zum anderen haben, sondern nur mit ihren eigenen Gefühlen beschäftigt sind. Statt sich spontan in ihrer Schicksalsgemeinschaft zu solidarisieren, geht jeder zunächst einen eigenen Weg, bevor sie dann allmählich wieder mehr zueinander finden. Die Tochter schließlich versucht als erste, wieder Anschluß an den Alltag zu finden, fällt aber auch hier und da mal aus der Rolle, verrät dadurch, daß sie mit dem Tod ihres Bruders natürlich noch lange nicht fertig ist. Zum Schluß können die drei immerhin wieder zusammen lachen, sind wieder näher zusammengerückt, haben einen Teil der alten Vertrautheit wieder gefunden. Und ohne das, so sagt uns auch der Film ganz deutlich, ginge es nicht, ohne Vertrauen, Solidarität, gegenseitiges Stützen und Helfen, könnte keiner der drei die Trauer verarbeiten, würde jeder der drei daran kaputt gehen. Es ist dies also ein Film über eine elementare Erfahrung und über ganz elementare, tiefe Gefühle, darüber, was Menschen einander bedeuten, was Verlust bedeutet, Trauer, Tod und darüber, wie so etwas auch eine an sich intakte, starke Familie in eine große Krise stürzen kann. Kein Film großer Sprüche oder großer Töne oder lauter Bilder, ganz sicher aber ein großer Film (ähnlich wie „Unter dem Strand“), ein menschlicher Film und bei aller Zurückhaltung ein sehr eindrucksvoller, berührender Film. (5.12.)