„Sibirskij cirjulnik“ (Der Barbier von Sibirien) von Nikita Michalkow. Rußland/Frankreich/Italien/ Tschechien, 1999. Julia Ormond, Oleg Menschikow, Alexej Petrenko, Richard Harris, Vladimir Ilyin, Alexander Jakowlew, Daniel Olbrychski
Ach Gottchen ja, was ließe sich nicht alles gegen solche Filme wie den hier sagen: Zu lang, zu breit, zu zäh, zu patriotisch, nur auf schöne Bilder aus, zu vage in der Liebesgeschichte und auch zu vage, was das Schicksal vieler Personen hier angeht. Na und? Ich für meinen Teil muß sagen, daß ich fast drei Stunden lang einfach meinen Spaß hatte (und zwar nicht zu knapp) oder zumindest gut unterhalten wurde. Vielleicht würde man von einem Regisseur wie Michalkow mehr oder anderes erwarten als ein Kostümmelodram mit reichlich Zeitkolorit (die Zarenzeit, so wie man sie vielleicht gern hätte, wird vor unseren Augen lebendig), großen Gefühlen und ein bißchen viel Feierei von Soldatenkumpanei. Wenn man allerdings bereit ist, diese Voraussetzungen zu akzeptieren, könnte man doch zugeben, daß es sich um ein sehr ansehnliches und vorzüglich gestaltetes Beispiel seiner Gattung handelt, mit allen notwendigen und weniger notwendigen Begleiterscheinungen. Alles in allem recht konventionell und in der Psychologie ziemlich überraschungsarm präsentiert sich die Liebesgeschichte einer amerikanischen Abenteuerin und eines jungen russischen Kadetten in Moskau, die einerseits durch die Nebenbuhlerschaft eines schwergewichtigen Generals und andererseits durch die russischen Vorstellungen von Ehre und Buße zerstört wird und folgerichtig für ihn in sibirischer Verbannung (wo er als der Barbier aus dem Titel sein Leben fristet) und für sie in einsamer Mutterschaft (denn die beiden haben einen Sohn, dessen Herkunft sie als Geheimnis bewahrt) zuhause in den Staaten endet. Doch eigentlich habe ich mich an diesem traditionsverhafteten Rahmen wenig gestoßen, ganz einfach weil drumherum so viel erfrischendes Leben los ist. Michalkow hat sehr viel Zeit und Liebe zum Detail darauf verwendet, Moskau anno 1885 als prickelnden, brodelnden Schmelztiegel aller möglicher Menschen und Kulturen auferstehen zu lassen, und er hat darüber hinaus eine höchst amüsante, prachtvoll vitale Sammlung von Figuren um unser Liebespaar herum gruppiert, und so kommt es fast automatisch, daß die Liebesgeschichte gar nicht so dominant erscheint und ihr möglicher Mangel an Originalität folglich weniger schwer ins Gewicht fällt. Statt dessen begeistern die ersten neunzig Minuten durch reichlich Unfug reinsten Kalibers, freches Temperament und einen generellen Mangel an Feierlichkeit und Ernsthaftigkeit, was einem tendenziell eher braven Liebesdrama natürlich bestens zu Gesicht steht. In der Tat beeindruckt Michalkow durchgehend als brillanter, einfallsreicher und höchst charmanter Erzähler, der sich über Militärdrill (russischen genau so wie amerikanischen), gesellschaftliche Anlässe und alle Formen von Obrigkeitseinfalt genüßlich lustig macht und den überraschten Zuschauern unerwartet viel Spaß bereitet. Auch genießen wir herrliche Bilder, opulente Massenszenen, elegante Kameraführung und Choreographie und vortreffliche Darsteller, auch wenn man sicher zugeben muß, daß der unglückliche Oleg Menschikow, so sehr er sich bemüht, nie und nimmer als Zwanzigjähriger durchgehen kann. Einmal mehr muß ich sagen, daß es auf die Ansprüche ankommt: Der Name Michalkows läßt möglicherweise andere Erwartungen zu, doch wenn man sich davon löst und gern mal wieder klassisches, gefühlvolles und witziges Kino erleben möchte, wird man seine Wahl, denke ich, kaum bereuen. (25.1.)