„Der Traum ist aus“ von Christoph Schuch. BRD, 2001.
Ein Dokumentarfilm über Ton Stein Scherben, über ihre ersten LPs im Eigenverlag mit eigenhändig zugetackerten Papphüllen, über die kraftvollen Slogans Rio Reisers, über die Rolle der Band in der Berliner Hausbesetzer- und Politszene, über Krawalle mit den Bullen in Kreuzberg, über die Ächtung ihrer Musik im kommerziellen Radio, über das Leben am Rande des Existenzminimums, über die Flucht raus aufs Land nach Nordfriesland, über das langsame Zerbröckeln der Kommune und über das Ende und das, was nach Rios Tod kam. Das ist Historie und der eine Teil des Films, unentbehrliches Dokument für alle, die die Musik lieben, an den guten alten Zeiten hängen oder einfach erfahren wollen, was damals eigentlich so los war. Der zweite Teil des Films ist ebenso interessant, er beschäftigt sich mit den sogenannten „Erben der Scherben“, aktuellen Bands wie Tocotronic, Die Sterne, Department, Element of Crime oder Tillman Rosmy, die auch versuchen, abseits des Mainstreams ihre Musik durchzusetzen und die hier Auskunft geben zum einen natürlich über die Scherben und ihr Verhältnis zu dieser Band und Reisers Texten, zu Erfahrungen, die mit der Musik verbunden sind, Konzerte, Demos, anderen Events, zum anderen aber auch und vor allem über sich selbst und ihre Musik, ihre Ideen, Ansprüche, Vorstellungen. Es geht um politische Musik, ob sie überhaupt noch Sinn hat gewollt wird, ein Forum finden kann, wie die Entwicklungen der letzten zehn Jahre ihre eigene Sichtweise und letztlich auch die Musik beeinflußt haben, ganz allgemein um die heutigen Bedingungen, die solche Bands vorfinden und mit denen sie sich arrangieren müssen, so wie die Scherben es vor dreißig Jahren mußten. Die Beiträge der Scherben-Musiker, die ja nun einer ganz anderen Musikergeneration angehörigen, ergänzen sich auf spannende und anregende Weise mit den sehr offenen, intelligenten und ehrlichen Aussagen der Jüngeren, und so entsteht ein Bild von dreißig Jahren Rockmusik in Deutschland und zugleich die Frage, ob es noch eine Kontinuität gibt, ob es wirklich Erben der Scherben gibt und ob es überhaupt noch Sinn macht, dies zu wollen. Auf endgültige Antworten kann natürlich kein Wert gelegt werden, doch gibt es zahlreiche Aspekte, Sichtweisen und Anregungen, Denkanstöße für all die, die sich wirklich für die Materie interessieren. Für die nämlich ist dieser Film gemacht, alle anderen wird er wohl kaum erreichen oder interessieren. Ein großes Plus des Films darf nicht unerwähnt bleiben, die Tatsache nämlich, daß hier kein feierlicher Altar für Rio Reiser errichtet, daß der Mann nicht auf irgendein Podest gehoben, sondern daß er ganz richtig gewürdigt wird für das was er war und geleistet hat, daß er aber zu keiner Zeit heraussticht aus der Band, oder umgekehrt daß die übrigen Bandmitglieder hinter ihm in seinen Schatten zurücktreten müssen, was ja auch ein lächerlicher Affront gegen die gesamte Ideologie dieser Band gewesen wäre. Insgesamt also ein schöner (zumindest für mich schöner) Dokumentarfilm, vielschichtig, humorvoll und auch nachdenklich und vor allem über ein Thema, das mir am Herzen liegt. (6.11.)