„Die Einsamkeit der Krokodile“ von Jobst Oetzmann. BRD, 2000. Janek Rieke, Thomas Schmauser, Julia Jäger, Renate Krößner, Rosemarie Fendel, Ernst Stötzner, Dynelle Rhodes
Elias kommt aus der großen Stadt in die westfälische Provinz, um nach dem Tod seines Cousins Günther zu fragen. Im Gepäck hat er über zwanzig Kassetten, besprochen von Günthers Großmutter (?), die Elias bis zu ihrem eigenen Tod von der Tragödie erzählt hat, von der überängstlichen, übermächtigen Mutter, vom schlichten, dominanten Vater im eigenen Metzgerbetrieb, von einer Kindheit zwischen Schweinehälften, Schlachterblut und Innereien, von dem heranwachsenden Jungen, der ans Elternhaus gekettet wird, der Geige und Latein pauken muß, weil er nicht mit den anderen spielen soll, der zum verspotteten Außenseiter wird, zwar mit dem besten Zeugnis, aber vollkommen einsam, befreundet nur mit einem Stallburschen aus der Nachbarschaft, der ebenfalls nicht zur dörflichen Gemeinschaft gezählt wird. Dann das Studium – nicht in Tübingen, wie er es wünscht, sondern im nahen Paderborn, wie Paps bestimmt hat – mit noch mehr Träumereien (Karl May und die Apachen im Vergleich zu Plato) und noch mehr Einsamkeit. Die kurze Freundschaft mit einer Amerikanerin aus der nahegelegenen Armeebasis, dann der plötzliche Ausraster, das letzte wütende Aufbegehren gegen das elterliche Diktat, die Einweisung in die Nervenklinik und das Dahinvegetieren unter Tabletten bis hin zum Tod. Aus Rückblenden und vielerlei einzelnen Erzählungen kann sich Elias ein Bild machen vom einem Jungen, der nie eine Chance zur freien Entwicklung, zum eigenen Willen, zur eigenen Persönlichkeit hatte, ein Provinzalptraum, klaustrophobisch, traurig, tragisch. Elias gerät auf der Spurensuche immer wieder sehr dicht an Günther heran, wird von vielen Leuten mit ihm verglichen, stößt bei den Leuten aus dem Dorf abwechselnd auf Mißtrauen und auf direkte Aggression, nur nicht bei Heike aus der Gastschänke, die schließlich seien Geliebte wird. Und zum Schluß kann er auch noch einen Traum Günthers realisieren: Freiheit für die Schweine.
Ein origineller, sehr schön fotografierter Film mit einer vorzüglichen Besetzung und einem nicht alltäglichen Milieu, das zumindest ansatzweise ganz gut ausgeleuchtet wird. Das bäuerliche, schwerfällige Umfeld, dumpf in seiner Gewalt gegen Andersartige (Kurden, Debile, Leute von auswärts), stumpf in seinen Festivitäten (das unvermeidliche Feuerwehrfest im Bierzelt), feindselig gegen alles, was von der Norm abweicht und überhaupt fest mit der Scholle verkuppelt. Ein schüchterner, stotternder, eher unbeholfener Typ wie Elias wird also gleich ordentlich in die Mangel genommen, denn er ist eine Gefahr, weil er anders ist, nicht ins System paßt. Dies ist natürlich nicht gerade etwas bahnbrechend Neues über das Landleben, wie der Film überhaupt nicht hinlänglich bekannten Versatzteilen arbeitet, dies aber auch so ironisch und oft überraschend tut, daß es nicht weiter stört. Die einsame Lady hinter dem Thresen mit der Sehnsucht nach dem, der da kommt und sie befreit, der dickbebrillte, liebenswürdige Dorftrottel, zugleich der einzige Verbündete des Selbstmörders, die derb-fleischigen Bauersleut‘ und natürlich die pöbelnde, rohe Machotruppe, die kernig-ländlich alle unerwünschten Elemente aufs passende Maß zurechtstutzt – eine Ansammlung von Stereotypen, ein Spiel mit Klischees, mal grotesk überzogen, mal mit sanft-poetischem Humor, mal aber auch ganz ernsthaft im Stil einer Provinztragödie vorgetragen. Ein moderner, gebrochener Heimatfilm für Flachlandtiroler, spannend und kurzweilig, eindrucksvoll gespielt, besonders geeignet für Freunde versponnener, skurriler Typen und Geschichten. (30.5.)