„La pianiste/Die Klavierspielerin“ von Michael Haneke. Österreich/Frankreich, 2001. Isabelle Huppert, Benoit Magimel, Annie Girardot, Susanne Lothar, Udo Samel, Anna Sigalevitch

Elfriede Jelineks Roman über die Klavierlehrerin Erika Kohut, die in einer Art Symbiose mit ihrer dominanten Mutter zusammenhaust und sich den jungen Herrn Klemmer aussucht, um ihre Sehnsucht nach sado-masochistischer Erotik auszuleben, was aber nur zu schlimmen Mißverständnissen und Verletzungen (physischen wie psychischen) führt, verlangt, wenn man ihn verfilmen will, Kompromißlosigkeit und Präzision. Wer könnte also besser geeignet sein als Herr Haneke, der uns in seinen ganzen früheren Filmen beides bis zur Grenze der Erträglichkeit vorgeführt hat. Diesmal also keine grausame Provokation à la „Funny Games“, sondern eine in jeder Hinsicht brillante, kongeniale Psychostudie, konzentriert, höchst intensiv und obendrein eine eindrucksvolle Demonstration, wie schnell auch hundertdreißig Minuten vorüber sein können. In der Tat taucht man als Zuschauer so tief und komplett in die Geschichte, in das Milieu, in die zwischenmenschlichen Momente ein, daß man (mir ging es jedenfalls so) das Gefühl für die konkrete Zeit verliert und vom Ende fast überrascht wird. Wenig Filme dieser Kategorie schaffen sowas, womit schon eine seiner Qualitäten benannt wäre. Eine zweite liegt natürlich im Drehbuch, das die Essenz des sperrigen Romans perfekt überträgt und nichts oder nur unwesentliches zurückläßt: Jelineks Lieblingsthemen wie Sexualität und Gewalt, Geschlechterrollen, das Wechselspiel von Unterwerfung und Dominanz, gesellschaftliche Restriktionen und schichtspezifische Konventionen und Rollenmuster werden beispielhaft, anschaulich und so verarbeitet, daß kein trockener Soziologenfilm dabei herausgekommen ist, sondern ein zwar kühles und analytisches, aber dennoch bewegendes und eindrucksvolles Drama. Haneke konzentriert sich völlig auf die wenigen Hauptpersonen, gibt ihnen ein genau umrissenes Milieu mit und ebenso genaue Schilderungen der Umgangsformen in diesem Milieu, verzichtet auf unnötiges Beiwerk und sorgt somit für maximale Intensität. Letzteres führt auch zur dritten großen Stärke des Films, nämlich den Schauspielern. Vor allem Huppert und Magimel sind (und dieses Wort benutze ich wirklich nur ungern) genial als Lehrerin und Schüler, durchleben alle Stadien ihrer Beziehung mit unerhörter Eindringlichkeit und machen das Hinsehen zu einem faszinierenden Erlebnis. Zunächst ist Erika obenauf: Sie spürt das anfängliche Interesse, später die Bewunderung und noch später die Begierde des Jüngeren, lockt ihn, macht in richtig heiß und läßt ihn dann in der Luft hängen um ihn gefügig zu machen für ihre Interessen. Sie will endlich das ausleben, was sie sonst nur ansatzweise auf einsamen nächtlichen Streifzügen durch die Stadt als Voyeurin erlebt, als Zaungast fremder Erotik, in Peepshows oder Autokinos, wo sie den Pärchen im Wagen zuschaut. Von Anfang an ist sie zugleich Opfer und Täterin: Opfer ihres Lebens mit der Mutter, einer halb seilen, unerträglich herrischen Nervensäge (von Girardot ebenfalls toll dargestellt), mit der sie eine starke Haßliebe verbindet, die ihr aber eben verbietet, sich von dem Monstrum zu lösen. Opfer einer von außen und innen aufoktroyierten Selbstdisziplin, sinnreich veranschaulicht an den Exerzitien in klassischer Musik, die sie immer wieder benutzt, um Macht auszuüben, um ihren Selbsthaß nach außen abzuleiten. Opfer auch ihrer Unfähigkeit, ihrer sicherlich auch von sozialen Bedingungen diktierten Unfähigkeit (die dann zu Autoaggression sprich Selbstverstümmelung führt), ihre Sexualität auszuleben, sich als Frau zu artikulieren. Täterin insofern, da sie ihre unterdrückten Sehnsüchte teilweise in Aggressivität, Haß, Destruktionswut umsetzt, SchülerInnen tyrannisiert oder sogar vorsätzlich verstümmelt und sich in der Öffentlichkeit gemein, arrogant und eiskalt gibt. Als Klemmer dann den Spieß umdreht und seinerseits offensiv, fordernd und schließlich bös gewalttätig wird, wandelt sie sich zur unterwürfigen, bittenden, demütigen kleinen Frau, die sich mißhandeln und erniedrigen läßt, bis er schließlich zu weit geht, sie vergewaltigt und endgültig alles zerstört. Er als Mann hat es nicht ertragen, auch mal Objekt weiblicher Lust zu sein, ihr die Initiative zu überlassen und seine eigenen Wünsche unterzuordnen, so wie es normalerweise natürlich zumeist die Frauen tun. Immer wieder fällt der Satz, „So kannst du mit einem Mann nicht umgehen“, und selbst wenn sie durchaus hinterhältig und zynisch vorgeht, spürt man Jelinkes grimmigen Blick auf männliche Sexualität, so wie sie es dann in „Lust“ auf die Spitze getrieben hat. Anfänglich also hat Klemmer noch unsere Sympathien, ist er eher das Opfer ihrer Machtspielchen, doch zum Schluß verliert man dieses Verständnis, muß man mitansehen, wie er hilflos mit stumpfer, brutaler Gewalt reagiert. Man kann, wie gesagt, Huppert und Magimel nur dafür bewundern, wie sie diese Entwicklung nachvollzogen haben, wie glänzend es ihnen gelungen ist, die Konzeption, die Aussagen des Romans und des Drehbuchs rüberzubringen und auszudrücken. Zwei der besten schauspielerischen Leistungen der letzten Jahre in einem Film, der ihnen in allem vollauf gerecht wird und für meinen Geschmack der weitaus beste Film von Michael Haneke ist, den ich bislang gesehen habe. (24.10.)