„Insider“ (#) von Michael Mann. USA, 1999. Al Pacino, Russell Crowe, Christopher Plummer, Diane Venora, Lindsay Crouse

Ein sehr langer, sehr vielschichtiger und, obwohl er auf jegliche Actionmomente verzichtet, auch sehr spannender amerikanischer Film über Mechanismen der Macht, der Wahrheitsverzerrung und der Medienwirkung, offensichtlich gestützt auf einen Tatsachenfall aus den Neunzigern. Die Tabakindustrie hat drüben in den USA eine Bedeutung, die wir hierzulande wohl nur scher nachvollziehen können. Entsprechend ungeheuerlich muß es gewesen sein, daß ein Mann namens Wigand eines Tages daran ging, den gottähnlichen Nimbus der Industriebosse nachhaltig zu erschüttern, indem er erstmals Interna in einem TV-Interview für CBS preisgeben wollte. Diese Interna gaben nicht nur Auskunft über kriminelle, vorsätzlich gesundheitsschädigende Praktiken bei der Zigarettenherstellung (die Anreicherung des Tabaks mit suchtfördernden Chemikalien zum Beispiel), sie bezichtigten auch die Verantwortlichen des mehrfachen Meineids, denn die hatten zuvor in aller Öffentlichkeit einen feierlichen Eid darauf geschworen, daß Rauchen ihres Wissens nach nicht gesundheitsschädlich sei. Ungefähr die erste Hälfte des Films beschäftigt sich mit Wigand, seinem Weg zur Presse und seinem langen und sehr gefährlichen Kampf um die Veröffentlichung seiner Erklärung. Er wird mehrfach mit dem Tode bedroht, wird beschattet, verliert seine Familie, die dem Druck nicht standhalten kann, und sieht sich schließlich einer landesweiten, üblen Rufmordkampagne ausgesetzt, die darauf abzielt, ihn als glaubwürdigen und respektablen Zeugen und Insider unmöglich zu machen. Die zweite Hälfte des Films schwenkt dann langsam und sehr geschickt zur andren Perspektive, der der berichterstattenden Medien. Bergman heißt jetzt die Hauptfigur, einer der Hintermänner der populären Politshow „60minutes“. Bergman ist Wigands Kontaktmann und zunehmend auch seine Vertrauensperson. Er setzt sich von Anfang an für das Interview ein und reagiert enttäuscht und wütend, als sich abzeichnet, daß CBS unter dem öffentlichen und industriellen Druck nachzugeben scheint und die Sendung nicht ungekürzt bringen will. Er ist es sich selbst und seinem Ruf schuldig, seinen Informanten auch dieses Mal nicht im Strich zu lassen und kämpft mit allen Mitteln um die Ausstrahlung des kompletten Interviews. Er kann sich zwar letztlich durchsetzen, doch ist sein Glaube an die Integrität des Senders so erschüttert, daß er kündigt.

 

Durch diese Verschiebung der Perspektive wird erst eigentlich deutlich, worum es in dem Film geht und worum vielleicht höchstens in zweiter Linie. Es geht nicht um die Machenschaften der Tabakindustrie – daß hier miese Schweinereien abgelaufen sind, steht nicht zur Diskussion, sondern wird ganz cool als Faktum hingestellt. Es geht auch nicht um Wigand, um seine Glaubwürdigkeit, seine Person oder darum, ob er nun die Wahrheit sagt oder nicht. An seiner Integrität wird ebensowenig gezweifelt wie an der Glaubwürdigkeit seiner Aussage. Er mag früher getrunken oder mit seiner Ex-Frau Probleme wegen Unterhaltszahlungen gehabt haben – trotz allem ist er ein ehrlicher, völlig respektabler Mensch. Es geht vor allem um die Art und Weise, wie zwischen Industrie und Medien der Umgang mit Fakten verhandelt wird, wo und wie die Entscheidung darüber getroffen wird, was der Öffentlichkeit bekannt gemacht werden kann und was nicht. Was passiert, wenn jemand unliebsames Wissen kundtun will? Wie hält man den Insider davon ab, seine Informationen preiszugeben, wie setzt man ihn unter Druck, wie setzt man ihn außer Gefecht? Wie setzt man Zeitungen und TV-Sender unter Druck, mit welchen Argumenten verfährt man und wie reagieren die Medien auf diesen Druck, welche Argumente werden wiederum dort entscheiden? Der Film ist deshalb so aufregend und intensiv, weil er diesen Fragen seine ganze Aufmerksamkeit widmet und sich fast gar keine Schlenker und Abweichungen vom Thema gestattet. Vielleicht hätte man auf die Nahostepisode ganz zu Anfang verzichten können, und sicherlich ist das Pathos gegen Ende, als das Interview dann doch im ganzen Land zu sehen ist, überflüssig und sehr amerikanisch, aber dies sind kleinere Unebenheiten, die den Gesamteindruck unwesentlich stören. Der Stil ist dunkel, intensiv, sehr dicht und fesselnd, die Gesichter, die Augenblicke, die Dialoge sind enorm markant, eindringlich, die Spannung ist auch dann groß, wenn mal nicht mit dem Holzhammer zugehauen wird, und überhaupt erinnert man sich gern an die besten Verschwörungsfilme aus den Siebzigern, denen sehr viele Szenen hier nachempfunden zu sein scheinen. Man sieht im Grunde zwei Männer und ihren Kampf gegen die große, übermächtige Maschinerie: Zum einen die Tabakindustrie, die nach Belieben Killer, Privatdetektive oder Anwälte einschalten kann, um ihre Interessen durchzusetzen, und zum anderen die Medienindustrie, die letztlich, wie und weshalb auch immer, entscheidet, wieviel der kleine Bürger wissen darf, was er glauben muß und vor allem wem er glauben muß. Die ungeheure Macht dieser Medien wird sehr deutlich und wird erst recht erschreckend, wenn man die Gestalten hinter den Kulissen sieht, die mit dieser Macht alles andere als verantwortungsbewußt verfahren. Es zählt die Quote, es zählt die Karriere, es zählt der Schulterschluß mit der reichen Wirtschaft. Wahrheit ist relativ und ein Mensch wird in Sekundenschnelle zum zwielichtigen Trinker und Lügner, wenn man die Fakten nur richtig filtert. Al Pacino kann seinen emotionalen, sehr publikumsnahen Stil voll entfalten und wird noch mehr als der introvertiertem sehr zurückgenommene Russell Crowe zur Identifikationsfigur, denn er kämpft lautstark, leidenschaftlich und trotz aller Berufserfahrung mit viel Idealismus um seinen eigenen Glauben an die Sache, ganz anders als der alternde, zweifelndem, schwankenden Christopher Plummer, der sich nur in Ehren zur Ruhe setzen und nichts mehr aufs Spiel setzen will. Man weiß zum Schluß gar nicht mehr so richtig, ob es ihm überhaupt noch um die Sache oder mehr noch ums journalistische Prinzip geht , aber dies ist nur einer von vielen Nebengedanken, die der Film auch zuläßt, denn er legt uns nicht auf eine Sichtweise fest und ist auch nicht an Schwarzweißmalerei interessiert, wenn es um die Hauptfiguren geht. Auch wenn letztlich die „gute Sache“ siegt, ist doch sehr deutlich geworden, wie schnell vertuscht, verdreht, eingeschüchtert, intrigiert, manipuliert werden kann, wie lenkbar die öffentliche Meinung ist, wie mächtig die Industrie ist und wie labil die Position der Medien als unparteiische, investigative, demokratische und freiheitliche Berichterstatter doch ist. Ein sehr schönes, spannendes Stück Hollywoodkino, das überzeugend Unterhaltung mit Niveau verbindet und uns zwischendurch mal wieder wünschen läßt, daß den Amis dies viel öfter gelingen möge. Aber leider, aber leider... (18.7.)