„Intimacy“ (#) von Patrice Chéreau. Frankreich, 2001. Mark Rylance, Kerry Fox, Timothy Spall, Philippe Calvario, Marianne Faithfull, Susannah Harker, Frazer Ayers
Claire und Jay treffen sich jeden Mittwoch in Jays Wohnung, haben Sex und trennen sich dann wieder. Sie reden kaum, wissen kaum etwas voneinander, jeder lebt sein eigenes Leben: Jay als geschiedener Vater zweier Kinder und als Barmann, Claire als noch verheiratete Mutter eines Sohnes und Leiterin einer Theatergruppe. Als Jay ihr eines Tages doch mal aus Neugier folgt, geraten die Dinge ins Schleudern. Er lernt ihren Mann kennen, besucht regelmäßig ihre Theatervorstellungen, will mehr und mehr an ihrem Leben teilhaben, zumal sein eigenes für ihn eher frustrierend ist. Sie jedoch weicht zurück, blockt ab, reagiert schroff und schließlich mit Trennung. Das Arrangement, das für sie völlig in Ordnung gewesen war, ist zerstört, sie fühlt sich bedrängt, unter Druck gesetzt, entblößt. Sie setzt sich in den Bus und verschwindet in den Straßen Londons.
Die Kamera schaut diesem Bus lange nach und behält den Blick auf die Straße auch dann noch bei, als er längst außer Sicht gefahren ist. London mit seinen Straßen und Wohnsiedlungen ist ein wichtiger Bestandteil des Films, der auf Kurzgeschichten von Hanif Kureishi basiert. Daraus läßt sich schon im Voraus ableiten, daß es sich kaum um ein glitzernd-schick-romantisches London à la Notting Hill handeln wird, sondern um ein anderes, realeres, weniger fotogenes. Jays Wohnung ist also kein feines Appartement sondern ein heruntergekommenes Loch, das keinen besonders anheimelnden Rahmen für die Aufeinandertreffen der beiden abgibt, Jay und Claire selbst gehören nicht gerade zu den oberen Zehntausend der Stadt und das gilt gleichfalls für die Leute, mit denen sie ansonsten verkehren. Wohltuend also festzustellen, daß Chéreau schon mal nicht an einem modischen Beziehungsfilm mit Hochglanzsex interessiert war. Ach ja, der Sex. Natürlich sorgten die paare „Szenen“ der beiden für allerhand Aufsehen von wegen ihrer Freizügigkeit und so. Eine typische Methode, einen Film ins Gespräch zu bringen, ihm womöglich den Ruch eines Skandalfilms anzuhängen, was vollkommen lächerlich und übertrieben wäre. Und auch an Chéreaus Absichten vorbeigezielt, denn gerade in den Liebesakten der beiden, in ihrer Körpersprache, in ihrer wortlosen, wilden, aber doch merkwürdig verkrampften, hitzig-verbissenen Erotik wird sehr viel über die beiden ausgesagt, über jeden einzelnen von ihnen, aber auch über die Verhältnis. Obgleich Claire offensichtlich ursprünglich die Initiatorin gewesen war, wirkt nun Jay leidenschaftlicher, fordernder, während Claire defensiv, scheu, fast gehemmt erscheint, auf jeden Fall nicht wie eine Frau, die mit Offenheit und Spaß bei der Sache ist. Was vielleicht ein bequemes Arrangement zweier satter Wohlstandsbürger sein könnte, ist in Wirklichkeit ein fast verzweifelter Versuch zweier recht einsamer Menschen, sich irgendwie und irgendwo etwas Wärme und Befriedigung zu holen. Nur merken beide früher oder später, daß beides so nicht zu haben ist, und so kommt dann unweigerlich was kommen muß: Eifersucht, Szenen, Vorwürfe, Enttäuschung, Verbitterung, Wut, Ernüchterung. Jay setzt Dinge in Gang, die die nicht existierende Beziehung der beiden zwangsläufig überfordert. Claires Mann kommt ins Spiel, ein lieber Kerl, völlig ahnungslos, und Claire merkt schnell, daß ihr eine Verantwortung aufgebürdet wird, die sie nicht tragen kann und will, also muß sie sich Jay und seinen Ansprüchen entziehen. Auf ihre Art sind beide, sie und Jay, beziehungsunfähig, beide verstecken ihre Ängste, ihre Verletzlichkeit und Wünsche oft hinter schroffer, aggressiver Fassade, er hat seine Familie schon verloren, sie ist kurz davor, und auch mit den Freunden ist es so eine Sache. Chéreau hat also nichts anderes als eine überaus gründliche, intensive und künstlerisch fabelhaft konsequente Studie über die Einsamkeit in der Großstadt gedreht, sicherlich nicht die erste und auch nicht die letzte, aber eine, die mit beachtlichen Qualitäten aufwarten kann. Vor allem die beiden grandiosen Hauptdarsteller bringen sich voll ein, ihre Gesichter, ihre Körper, ihre ganzen Gefühle, sie sorgen für aufwühlende, mitreißende Momente und Begegnungen, geben den Emotionen sehr viel Echtheit und Direktheit. Das Umfeld wird sehr glaubwürdig und sorgfältig gezeichnet, Chéreau nimmt sich Zeit für die Freunde, Arbeitskollegen und für die Orte, an denen sie zusammenkommen und vermischt perfekt den englischen Sinn für Milieustudien mit dem französischen Faible für provozierende Liebesgeschichten. Nicht unbedingt ein leichter, bequemer, zugänglicher Film, oftmals wirkt er im Gegenteil kühl und schroff, aber es ist sehr beeindruckend gefilmt und gespielt und im Rahmen seiner Absichten vollkommen gelungen. (13.6.)