„Nirgendwo in Afrika“ von Caroline Link. BRD, 2001. Juliane Köhler, Merab Ninidze, Karoline Eckertz, Lea Kurka, Matthias Habich, Sidede Onyulo
Die Geschichte der jüdischen Familie Redlich aus Breslau zwischen 1938 und 1947: Der Vater, ein etablierter Anwalt, emigriert als erster nach Kenia, wo er bei einem englischen Farmer arbeitet. Er läßt Frau und Tochter nachkommen, und in den folgenden Jahren erleben die drei ein höchst wechselvolles, von den politischen Fährnissen der Weltgeschichte gelenktes Schicksal. Nach Kriegsende will der Vater wieder nach Deutschland zurück, um beim Wiederaufbau zu helfen. Die Frauen sind zunächst dagegen, doch dann gehen sie doch mit ihm zurück.
Dies ist natürlich nur der äußere Rahmen einer epischen Erzählung, die zwar unter anderem in schönen Bildern aus Afrika dargeboten wird, aber dennoch niemals in Gefahr gerät, ein deutsches „Jenseits von Afrika“ zu werden, denn dazu ist Caroline Link zu weit vom Kitsch entfernt und dazu ist ihr Film zu vielschichtig, um auf ein Melodrama oder ähnliches reduziert werden zu können. Es werden viele Geschichten erzählt, und jede einzelne ist es wert erzählt zu werden und jede einzelne wird mit viel Gefühl, Humor und dem Sinn für die richtigen Proportionen erzählt, sodaß der Film immer als Ganzes bestehen bleibt und am Ende weder überfrachtet noch oberflächlich geworden ist.
Zunächst die Geschichte einer jüdischen Familie im Nazideutschland kurz vor der Reichskristallnacht, kurz bevor es zu spät war. Man klammert sich an den großbürgerlichen Lebensstil und möchte das heraufziehende Unheil und die daran geknüpften Konsequenzen verdrängen, doch viele ahnen und befürchten, was kommen wird. Dann ist es auch die Geschichte einer deutschen Frau aus gutem Hause – Frau Redlich nämlich -, etwas verwöhnt, etwas dünkelhaft, etwas zickig, die lieber ihr bestes Geschirr und ein gleichsam sündhaft teures wie idiotisch deplatziertes Abendkleid mit nach Afrika nimmt als den dringend notwendigen Eisschrank. Sie gibt sich politisch unbedarft und ahnungslos – Früchte einer konsequenten Geschlechtererziehung – und kann und will Afrika mit all den ungehobelten Negern auf gar keinen Fall als neue Heimat anerkennen. Doch sie wird lernen, wird sich ändern, ihren Horizont erweitern: Mit weiblicher Zähigkeit verbeißt sie sich schließlich doch in ihre neue Existenz, schafft sich einen Hausfreund an, schläft sogar mit einem englischen Offizier, um ihren Mann aus dem Internierungslager frei zu bekommen, und am Ende ist Afrika ihre Heimat und sie versteht nicht, weshalb ihr Mann zurück nach Deutschland gehen will. Also ist es auch die Geschichte einer Ehe, einer entfremdeten, schwierigen Beziehung, denn die beiden Eheleute wissen nicht mehr viel miteinander anzufangen, scheitern immer wieder an enttäuschten Erwartungen und Mißverständnissen. Gegenseitig werfen sie sich Egoismus vor, er verzweifelt an ihrer Sturheit und vorgeblichen Ignoranz, sie an seiner ideologischen Verbissenheit und daran, daß er ihr nicht den Lebensstil bieten kann, den sie einst für angemessen hielt. Dann kommt die Geschichte von Emigranten in der Fremde und von den politischen Implikationen: Von den Briten widerwillig als politische Flüchtlinge aufgenommen, später dann als Kriegsgegner interniert, bleiben die deutschen Juden fremd in Kenia, auch wenn sie sich mit deutschem Fleiß in dieser fremden Welt behaupten können. Herr Redlich (dessen Geschichte hier natürlich auch noch erzählt werden muß) empfindet diese Fremdheit besonders intensiv, auch wenn er oft betont, daß er den Afrikanern und den Engländern sein Leben verdankt, so weiß er doch, wo seine Wurzeln sind und wo für ihn die kommenden Aufgaben liegen. Trotz aller Klarsichtigkeit und Illusionslosigkeit, die ihn frühzeitig ins Exil trieben, bleibt er ein Idealist, der an die Zukunft glaubt, weil alles andere, so sagt er, in den Tod führen würde, und der sich nun zerrissen sieht zwischen dieser Gewißheit und der Liebe zu seiner Familie, die er nicht mehr aufgeben möchte. Und zuletzt (oder zuerst, ganz wie man will) ist dies die Geschichte der Tochter Regina und ihrer Begegnung mit Afrika, denn das Mädchen ist eigentlich die einzige der drei, die dem Kontinent unvoreingenommen, vorurteilslos und gänzlich offen begegnet. Anfänglich noch von ihrer Mama gegängelt und vermeintlich beschützt, läßt sie sich am intensivsten auf diese Welt und auf die Menschen ein, schließt enge Freundschaften, lernt die Sprache am schnellsten und entwickelt auch eine stark intuitive, emotionale Bindung zu den Afrikanern, vor allem zum Koch Owuor, der oft ein Vater- und Mutterersatz ist. Caroline Links Kunst als Regisseurin, quasi als Arrangeurin all dieser einzelnen Geschichten besteht genau darin, daß sie jeden Protagonisten zu seinem/ihrem Recht kommen läßt und keiner Geschichte den Vorzug gibt. Nur so kann der Film als ganzes geschlossen, abgerundet, formvollendet sein, nur so können die einzelnen Nuancen zusammenfinden zu einer komplexen Einheit, die wirklich mal gekonnt und souverän Gefühl und Intellekt unter einen Hut bringt, ohne in die eine oder andere Richtung überzukippen. Natürlich genießt man zwischendrin immer mal die opulente Musik und die herrlichen Landschaftspanoramen, doch stehen die Menschen fest im Mittelpunkt des Interesses, Menschen, die zum einen ihren individuellen und mitunter ziemlich sperrigen Charakter bewahren und sich nicht völlig preisgeben oder in Banalität versinken müssen, und die zum anderen von großartigen Darstellern großartig verkörpert werden und somit maximale Präsenz erhalten. Und weil Link außerdem, auch wenn ihre bisherigen Filme nie so hundertprozentig nach meinem Geschmack waren, ein ausgesprochenes Händchen hat für den Wechsel zwischen wundervoller Leichtigkeit und tiefempfundenem menschlichen Drama, folgen wir ihr und ihrer Erzählung auch über zweieinhalb Stunden aufmerksam, teilnahmsvoll, gerührt, amüsiert und auf jeden Fall immer interessiert. Ein in jeder Hinsicht großer Wurf aus deutschen Landen, ein Film, der sich auch auf dem ach so heißersehnten internationalen Markt leicht und locker behaupten können müßte, wenn es denn halbwegs nachvollziehbare Kriterien für Erfolg gäbe. (29.12.)