„Sade“ (#) von Benoît Jacquot. Frankreich, 2000. Daniel Auteuil, Marianne Denicourt, Grégoire Colin, Jean-Pierre Cassel

Zwei Filme beschäftigen sich in jüngster Zeit mal wieder mit dem so schön umstrittenen Marquis de Sade: Ein etwas lauteres Ausstattungsstück von Phillip Kaufman und ein typisch französisches Kammerspielchen, eben das hier. Auch früher hat es natürlich immer wieder, von diversen Sex-Schundfilmen mal abgesehen, Versuche gegeben, de Sade vor den einen oder anderen ideologischen Karren zu spannen: Luis Bunuel hat ihm bereits früh in “L’âge d’ôr“ seine Reverenz erwiesen und ihn als Protagonisten surrealer, gesellschaftlich provokanter Lebensart vorgestellt. Pier Paolo Pasolini hat genau dem gleichen Freidenkertum, das Bunuel stets so hoch gehalten hat, seine unvergeßlich monströse Vision von „Salò“ abgerungen und mal zu zeigen versucht, was in einer Gesellschaft ohne Regeln und Schranken passieren kann. Benoît Jacquot ist von solchen Ambitionen meilenweit entfernt und er verfügt als Regisseur im übrigen wohl auch nicht über das nötige Temperament, um irgendeinen spannenden, kontroversen Thesenfilm zustande zu bringen. Er hat ein äußerlich gepflegtes, hübsch fotografiertes und (natürlich) mit Streichquartettmusik beschalltes Ausstattungsstück fabriziert, in dem es um allerlei Dinge geht, nur um keines richtig. Wir sehen de Sade als Gefangenen der Revolution, interniert in einem Gefängnis, wartend auf die drohende Enthauptung, dann aber doch gerettet, als sich das Blatt der Geschichte wieder wendet. Wir sehen Massenhinrichtungen, Massengräber, eine wild gewordene Revolution, die alles massakriert, was ihr nicht genehm ist, ein blindwütiges Gemetzel ohne Beispiel, das all diejenigen kurieren sollte, die mit dem Begriff Revolution etwas Romantisches verbinden. In diesen Szenen liegen die wenigen Stärken des Films, hier spürt man so etwas wie Zorn, wie Engagement, aber wirklich nur hier. Ansonsten hat de Sade eine Gefährtin und ein Kind, die nun aber bei einem anderen Mann leben, und er lernt im Gefängnis eine verlockende junge Frau kennen, die er unbedingt noch einmal auf seine spezielle Art einführen möchte in die Welt des Eros, der geheimsten Wünsche, der wahren inneren Freiheit. Bis dahin vergeht leider unmäßig viel Zeit mit verbalem Geplänkel, indem es um Politik, Gesellschaft, Wohlanständigkeit und Freiheit geht, steifer, ungeschliffener Small Talk zumeist, ohne innere Spannung oder Unterhaltungswert. De Sades Gespräche mit dem jungen Mädchen sind sogar ziemlich pathetisch und schwerfällig, klischeebeladen, alles in allem: langweilig. Dieses traurige Attribut trifft auf circa siebzig Prozent des Films zu, der nie zu einem erkennbaren Konzept finden will, der nicht anregt, schon gar nicht provoziert und der es auch nicht fertig bringt, ein irgendwie interessantes Charakterporträt zu entwerfen. Auteuils natürliche Diskretion, die in so vielen anderen Filmen mit soviel Gewinn eingesetzt wurde, wirkt hier farblos und etwas eintönig, und sorgt logischerweise auch nicht dafür, daß wir an diesem Herrn de Sade stärkeres Interesse gewinnen. Kommt also am Schluß ein belangloser, schleppender, enttäuschender Film heraus, der mich deshalb auch frustriert, weil wir aus Frankreich in den letzten zwei, drei Jahren sowieso schon so wenig Filme zu sehen bekommen, und das sind dann nicht mal die besten, sondern die besten sehen wir dann ein halbes Jahr später auf Arte oder sonstwo. Das wirft natürlich kein gutes Licht auf die französische Filmlandschaft, die bestimmt viel besser aussieht, als wir das hier glauben möchten. (21.3.)