„Sass“ von Carlo Rola. BRD, 2001. Ben Becker, Jürgen Vogel, Julia Richter, Jeannete Hain, Henry Hübchen, Otto Sander, Karin Baal, Frank Sieckel, Traugott Buhre, Lars Rudolph
Die im großen und ganzen wahre Geschichte der Gebrüder Sass, Söhne eines Kommunisten aus dem Moabit, die Mitte der Zwanziger eine riesige, von den Medien und der Öffentlichkeit mit zunehmendem Respekt und von der hilflosen Polizeibehörde mit zunehmend ohnmächtiger Wut begleitete Karriere als Geldschrankknacker starten und erst dann straucheln, als sie sich Parteigelder der aufstrebenden Nazis unter den Nagel gerissen haben. Statt wie allgemein erwartet zu hohen Freiheitsstrafen verurteilt zu werden, läßt man sie frei, überläßt man sie damit den SA-Schergen, die sie nachts darauf totschießen.
Ein nicht nur solider, sondern ein durch und durch guter Unterhaltungsfilm in klassisch altmodischem Gewand: Sehr viel Berliner Nostalgie (bezeichnenderweise wird im Abspann von einer Prager Crew gesprochen!), sehr viel Mutterwitz und Lokalkolorit, ein wenig (nicht zuviel) Zeitgeschichte, viel Spannung und ein paar brillant gefilmte Einbrüche, genug Erotik für den Hausgebrauch, eine reichlich bemessene Dosis schlagfertiger Komik, genug Gewalt um uns daran zu erinnern, daß das Berlin der Zwanziger ganz und gar kein romantischer Ort sondern ein gnadenlos hartes Pflaster war, und eine Handvoll toller Schauspieler, die uns gründlich vergessen lassen, daß es hier letztlich um nicht viel mehr als hinlänglich bekannte Handlungsmuster und Stereotypen geht: Die Jungs aus einfachem Haus, die mit Einfallsreichtum, Intuition, Frechheit und Hartnäckigkeit den Autoritäten ein Schnippchen schlagen und ihren Traum vom großen Reichtum und dem Eintritt in die mondäne Welt der Oberen Zehntausend der Stadt verwirklichen und gleichfalls unweigerlich daran sterben werden. Sie werden zu Volkshelden, zu gefeierten Berühmtheiten der lokalen Etablissements, zugleich unantastbar für den verbissen folgenden Polizeibeamten Henry Hübchen, der uns zugleich die Geschichte als Rückblende erzählt, der zuletzt eine erkleckliche Summe aus den Raubzügen kassiert und dann doch in Deutschland bleibt, nur um mitanzusehen, wie sich alles verdunkelt. Eine rivalisierende Gaunerbande möchte mit aller Macht und unter Zuhilfenahme fürchterlicher Brutalität (man schlachtet beispielsweise den Herrn Vater kaltblütig und hinterhältig ab) am Reichtum der Sass-Brüder partizipieren, fällt aber deren Cleverneß zum Opfer, weil der besonnenere den beiden, Ben Becker nämlich, den hitzköpfigeren davon überzeugt, daß blindwütige Rache zu nichts führt. Natürlich gibt es auch Frauen, mondäne, weniger mondäne, es gibt Venedig, es gibt Bordelle, Nachtclubs, die ganze Palette jenes legendären Berlins, das die Nazis unwiederbringlich ausgerottet haben, noch bevor es dann in Grund und Boden gebombt wurde, und das längst zum Objekt eines merkwürdigen und sehr intensiven Kults geworden ist. Trotzdem ist dies nach meinem Empfinden kein Film, der sich an politischen Dingen versucht (oder machen ein paar SA-Binden schon einen politischen Film?), es ist dies ein Film, der allein durch die souveräne Handhabung oft erprobter Genrezutaten gut unterhalten möchte, und genau dies gelingt ihm ganz prima. Daß er sich nicht unbedingt an die historischen Tatsachen hält sondern lieber ein geglättetes, glamouröses und mithin leichter verkäufliches Bild der beiden Helden entwirft, mag man bedauern oder als kommerzielle Kalkulation empfinden oder als Hollywood-Nachäffung rügen oder sonstwie bemängeln, mich hat es weniger belastet, da ich die Geschichte sowieso noch nicht kannte und dementsprechend ziemlich unbefangen zugesehen habe. Zur Entschädigung für verprellte Historiker gibt es mit Becker und Vogel zwei großartige, höchst charismatische Protagonisten, denen man einfach gern und hingerissen zuschaut, und es gibt eine stramme, sehr temporeiche Erzählweise, die sich vielleicht hier und da ein wenig mehr Zeit hätte lassen können, die aber dann auch wieder dafür sorgt, daß es absolut keinen Leerlauf gibt. Die frechen Gags der ersten Hälfte und die von leichter Beklemmung begleitete Spannung der zweiten Hälfte laufen auf ein Ende zu, das sich, wie in allen vergleichbaren Filmen, längst abgezeichnet hat, dem wir aber als solidarische und stark sympathisierende Mittäter dennoch bange entgegenfiebern in der schwachen und natürlich durch nichts gestützten Hoffnung, die beiden Helden mögen dieses eine Mal den Kampf gegen die große Übermacht nicht mit dem Leben bezahlen. Aber sie enden doch auf einer nächtlich verschneiten Treppe, abgeschossen wie Vieh von uniformierten Mördern und mit der Gewißheit, daß sie bestimmt alles nochmal genauso machen würden, wenn sie könnten. Also: Ein Film, der Spaß macht, ein Film mit Charme und Geist und Spannung, kurz, ein Film, mit dem ich sehr gut leben kann. (1.10.)