„Solas“ (#) von Benito Zambrano. Spanien, 1999. Ana Fernandez, Maria Galiana, Carlos Alvarez-Novoa
Eine spanische Familiengeschichte: Der Vater, der eiserne Stier, traktiert die Familie, speziell die Ehefrau nach guter alter Sitte. Die Kinder fliehen regelrecht, sobald sie können. Marie bleibt als längste, fest entschlossen, nie das Schicksal ihrer Mutter teilen zu müssen. All dies bekommen wir nur erzählt, spät im Film. Das eigentliche Geschehen geht so: Marie lebt in Sevilla, in einem einst wohlhabenden, nun durch Migration und Siedlungsprogramme verarmten Viertel, sie trinkt, hat lockere Männerbeziehungen und einen Job als Putzfrau. Für eine kurze Zeit quartiert sie ihre Mutter vom Lande bei sich ein, weil der Vater im Krankenhaus liegt. Zwischen den beiden findet wenig Kommunikation statt, jede geht ihren Weg. Die Mutter sitzt tagsüber meist bei ihrem Mann, der selbst halbtot nur Schikane und Verachtung für sie übrig hat, und später macht sie die Bekanntschaft eines Nachbarn Maries, eines sehr feinen älteren Mannes, der ihr ungewohnte Aufmerksamkeit und Höflichkeit schenkt. Marie wird derweil schwanger von ihrem aktuellen Geliebten, einem rohen Macho, der mit ihr nichts zu tun haben will und sie zur Abtreibung drängt. Dann wird der Vater so weit hergestellt, daß er zurück in sein Dorf kann. Die Mutter verabschiedet sich von ihrem neuen Freund, Marie lernt ihn auch kennen und gemeinsam beschließen sie, das Kind zu bekommen und dem Leben noch einmal neu entgegen zu treten.
Ein wunderbar intensiver, sehr eindringlicher und leiser Film, der uns glücklich an viele Errungenschaften des europäischen Kinos erinnert: Die Individualität des Milieus, die sorgfältigen Personenschilderungen, den Verzicht auf großes technisches Brimborium, den Mut zu kleinen, alltäglichen Geschichten und die Sicherheit, daß Bilder noch mehr sagen können als Worte. Vor allem das Ungesagte ist es hier, was wirklich schmerzt, manchmal unerträglich schmerzt, weil man als Zuschauer dort sitzt und es ausgesprochen haben möchte, es endlich hören will, all die uneingestandenen, verschütteten Gefühle, die Wut, die Aggression, die Liebe, die Erinnerungen, das Verzeihen. Natürlich reflektiert Marias verbitterte Härte, ihre stets latente Defensive, der schroffe Blick, das selbstzerstörerische Saufen, der ganz nachlässige, deprimierende Lebensstil, die Summe ihrer Erfahrungen, letztlich des Elternhauses, eine Erfahrung, die sie als Spanierin zweifellos mit vielen Landsfrauen teilen dürfte. An dieser Stelle ist es durchaus erlaubt, von einem Frauenfilm zu sprechen – wie lange ist es her, daß man sowas von einem Film sagen durfte? Ein Frauenfilm, weil er zwei Generationen zeigt, die sich mit den selben Erfahrungen auseinandersetzen. Die Mutter bleibt traditionell: Nach außen stark, fest unerschütterlich, ihrem Schicksal, sprich ihrem Gatten, voll ergeben, aber irgendwie auch in sich ruhend, eine Frau, die ihre Balance, ihren Stolz niemals verloren hat. Anders die Tochter: Aus der Bahn geraten, eigentlich nie richtig zu sich selbst gekommen, strauchelt sie einsam und entwurzelt durch eine triste Stadt, verkauft sich weit unter Wert in öden Jobs und demütigenden Bettgeschichten, richtet ihre ganzen unbewältigten Haßgefühle abwechselnd gegen sich selbst und ihre Umwelt. Weder Stolz noch Ausgeglichenheit sind hier zuhaus. Zwei Frauen, so sollte man denken, die sich nichts zu sagen haben, die in zwei völlig disparaten Welten leben. Erst nach und nach taut das Eis zwischen ihnen, wobei die Tochter wesentlich weiter gehen muß als die Mutter, und eigentlich erst nach dem Tod der Mutter kann sich auch die Tochter zu ihren Gefühlen bekennen. All dies ist großartig gespielt und ebenso großartig inszeniert, präzise, unaufdringlich, einfühlsam und vor allem, wie gesagt, sehr sehr leise. Vieles liegt in den Blicken, den Gesten, den Räumen und Körpern aufgehoben, vieles bleibt für immer ungesagt, teilt sich bestenfalls indirekt mit, wo vielleicht einer von den Zweien auf ein Wort gewartet hätte. Von Anfang an läßt man sich tief in die Bilder hineinziehen und wird bis zum Ende auch nicht mehr losgelassen. Das ist eine Kunst, so wie der Film überhaupt ein Kunstwerk ist, aber kein kaltes, abgehobenes, das irgendwo hoch droben über uns herumschwebt, sondern ein tief im Hier und jetzt verwurzeltes, das echte Menschen im echten Milieu zeigt und sich einfach mal wieder Mühe gibt, ganz normale Probleme (also, bloß kein Problemfilm, igittigitt!) so tiefgründig und mitfühlend wie nur möglich zu zeigen. Dies ist, kurz gesagt, vollendet gelungen. (21.5.)