„Merci pour le chocolat“ (Süßes Gift) von Claude Chabrol. Frankreich/Schweiz, 2000. Isabelle Huppert, Jacques Dutronc, Anna Mouglalis, Rodolphe Pauly
Ein sauberer kleiner Psychothriller, wie er von Patricia Highsmith hätte stammen können, maßgeschneidert für Claude Chabrol, den Meister dieses Fachs. Vor wohlsituierter Kulisse (diesmal Lausanne) spielt sich in überschaubarem Kreis eines jene stillen, intimen Dramen ab, von denen Chabrol anscheinend niemals genug bekommen kann und die er letztlich auch mit unübertrefflicher Könnerschaft in Szene setzt. Die reiche Erbin einer Schokodynastie hat sich einst den Starpianisten geangelt, indem sie dessen damaliger Frau ein Schlafmittel verabreichte und in den tödlichen Autounfall schickte. Es blieben Ehemann und Sohn, und nun lebt man glücklich zu dritt, neu verheiratet und im Luxus. Eine zweite Familie wird vorgestellt, Mutter und Tochter, hier fehlt der Papa, und auch hier gibt es allerhand Verschwiegenes, was erst jetzt mehr oder weniger unfreiwillig ans Tageslicht kommt. Das Mädchen und der Sohn des Pianisten wären als Neugeborene um ein Haar vertauscht worden, und später muß das Mädchen auch noch erfahren, daß ihr Vater gar nicht ihr Erzeuger ist, sondern sie aus der Retorte kommt. Jedenfalls nähert sie sich neugierig dem Pianisten und seiner Familie und löst damit fast eine neuerliche Katastrophe aus.
Die einzige Schwäche dieses Films könnte im Timing liegen, denn nachdem er sich mit der Vorbereitung, dem genußvollen Arrangieren der finalen, spannungsgeladenen Konstellation alle nur erdenkliche Zeit genommen hat, geht es dann plötzlich ziemlich schnell, womit Chabrol sich und uns um den letzten Nervenkitzel, das nervenzerrende Auskosten der Situation gebracht hat. Schade eigentlich, denn bei soviel souveräner Routine, bei dieser schön klaren, schlau durchdachten Geschichte und bei den hervorragenden Schauspielern wäre man gern noch ein Viertelstündchen dabei geblieben. Es geht hier wie immer um Macht, Eifersucht, Besitzstreben, aber auch um Identitäten, die mehrfach ins Wanken geraten, in Frage gestellt werden. Die beiden Kinder können sich plötzlich ihrer Herkunft nicht mehr sicher sein, das Mädchen erfährt die Wahrheit über ihre Erzeugung, und auch die Giftmischerin bekennt, ein Waisenkind gewesen zu sein, das bei Adoptiveltern aufwuchs. Ein feines Netz von Beziehungsfäden wird gesponnen, Mißtrauen und Abneigung entwickeln sich, Verdachtsmomente verdichten sich, und als am Ende der entsetzte Pianist seine Frau zur Rede stellt, versucht sie sich an einer Erklärung. Erst hier entgleist Isabelles Hupperts Maske, ihr verläßliches Markenzeichen in ihren Chabrolfilmen und wie geschaffen für seine Welt von Fassaden und den Rissen und Lücken darin. Eine stets eisern kontrollierte, gekonnt beherrschte, höfliche, fürsorgliche, geschäftstüchtige Frau, die nicht anders kann, als das Glück anderer zu zerstören, die selbst diesen Impuls nicht begreifen kann, selbst die Menschen, die ihr am nächsten stehen, betäuben und damit vielleicht töten zu wollen. Tiefe Verstörtheit und erschreckende Leere offenbaren sich, von der Huppert wie immer zur Vollendung gebracht. Das Leben um sie herum mag weiterlaufen wie es will, doch eng um sich entwickelt sie einen so starken Sog, daß man ihr immer und immer zuschauen will. Seit ewigen Jahren ist sie für mich eine der ganz großen Schauspielerinnen, auch wenn die Filme, in denen sie auftrat, nicht immer auf gleichem Niveau waren. Chabrol schafft wie gewohnt den angemessenen Rahmen für ihre Kunst in einem für ihn absolut typischen Film, wenn man will belanglos oder beliebig, schon x-mal gesehen, na gut, austauschbar, auch das vielleicht, aber in seiner Art einmalig, in einer eigenen Klasse und gestalterisch perfekt. Natürlich hat er in den letzten zehn, fünfzehn Jahren bessere Filme gedreht („Madame Bovary“ etwa, oder „Die Hölle“ und „Biester“), aber zweifellos auch weitaus schwächere, wenn man an seinen Jubiläumsfilm „Das Leben ist ein Spiel“ denkt. Wer ihn grundsätzlich mag, wird jedenfalls auch hier seine Freude haben. (17.1.)