„The Virgin Suicides“ (#) von Sofia Coppola. USA, 1999. Kirsten Dunst, James Woods, Kathleen Turner, Josh Hartnett, Hanna Hall, Michael Paré

Eine gutbürgerliche Vorstadt von Detroit/Michigan, die Siebziger. Aerosmith und Kiss sind groß im Rennen, bei den Girls rotieren die Hormone und die kleinen Jungs gucken ihnen staunend dabei zu. Die fünf Lisbon-Schwestern sind besonders begehrte Objekte, fünf ätherische Traumgestalten, schier aus einer anderen Welt, eine hübscher und verführerischer als die andere. Aber sie haben eine Übermama, die sie bewacht wie die Kronjuwelen und einen weltfremden Lehrerpapa, der sich gegen den Pummeldrachen daheim nicht durchsetzen mag. Also bleiben die Girls den Begehrlichkeiten der Zahnspangenträger entrückt, die fernen süßen Früchte ganz oben am Baum, von allen bestaunt und gründlich überwacht, denn Nacht für Nacht hockt ein Schwarm läufiger Kater am Gartenzaun und hofft auf ein Zeichen aus den heiligen Gemächern. Der schönste Junge der Schule blitzt ab, beißt sich zunächst die Strahler-70-Zähne aus am gnadenlosen Puritanismus der Frau Mama, die ihren Töchtern nichts von dem gönnen will, was all die anderen Gleichaltrigen dürfen - inklusive Knutschen auf Pappis Rücksitz. Als es dann nach dem obligatorischen Abschlußball doch passiert und die Zweitälteste auf dem ebenso obligatorischen Baseballfeld entjungfert wird, flippt Mom total aus und sperrt die Girls endgültig vor der Außenwelt weg. Die verlorene Tochter rächt sich, indem sie Nacht für Nacht auf dem Dach mit irgendwelchen Typen schläft, doch mehr als Morsezeichen an die Nachbarjungs passiert nicht mehr. An der Oberfläche erdulden die fünf ihr demütigendes Schicksal mit rätselhaft stoischer Gelassenheit, doch wie es drinnen aussieht, erfährt die Umwelt zum ersten Mal, als die Jüngste aus dem Fenster direkt auf den spitzen Gartenzaun springt. Von nun an ist die Familie Lisbon eine lokale und überregionale Mediensensation, und natürlich nimmt das Verhängnis seinen absehbaren Lauf: Am Schluß begehen die vier anderen kollektiven Selbstmord und stürzen die kleinen Jungs rings umher für alle Zeiten in tiefste, unauflösbare Verwirrung.

 

Francis Ford Coppola hat wohl seit dem grandiosen „Apocalypse Now“ (dem bis heute definitiven Statement zum Wahnsinn des Krieges an sich) keinen einzigen halbwegs befriedigenden Film mehr gedreht, und nach über zwanzig Jahren hat man als Kinogänger die Hoffnung mittlerweile wohl aufgegeben. Immerhin kann er es sich zugute halten, für dieses Projekt seiner Tochter Sofia als Produzent fungiert und damit zum ersten Mal seit damals wieder einen wertvollen Beitrag für die Zunft geleistet zu haben. Denn dies hier ist ein ganz wunderbarer „kleiner“ Film, eine brillant konzipierte Mischung aus Teenagerkomödie, liebevoll nostalgischer Hommage und ultraamerikanischer Familientragödie mit bruchlosen Übergängen dazwischen, perfekter optischer und musikalischer Gestaltung und einem herrlich riskant schwarzen Humor, der es dem Zuschauer vor allem gegen Ende nicht unbedingt leicht macht, sich mit den eigenen Gefühlen zurecht zu finden. Die Mittsiebziger in einer typisch spießigen Vorstadt, die ersten Befreiungsversuche der Kids mit allen pubertären Begleiterscheinungen, die unerbittlich wohlmeinende und zugleich unerbittlich einschnürende Spießigkeit dieser Gesellschaft zwischen Frömmigkeit, schulterklopfender Kumpanei und monströs altmodischen Moralvorstellungen, all dies bildet den Hintergrund für die merkwürdige, traurige, romantische, grausam schöne Geschichte der fünf Schwestern, die buchstäblich bis in den Tod hinein miteinander verbunden bleiben, von der vollkommen überforderten männlichen Umwelt bestaunt, ehrfürchtig angebetet, gierig behechelt und zugleich angesehen als Wesen von einem anderen Stern, nicht zu vergleichen mit den anderen, weitaus irdischeren Mädchen rings umher. Der Film erinnert mal an Peter Weirs ätherischen „Picknick am Valentinstag“ und mal an „American Beauty“, mit dem er den spöttischen, präzisen und makabren Blick auf den amerikanischen Spießer gemeinsam hat. Für den Zuschauer bedeutet dies sehr viel Spaß immer hart am Abgrund, der uns wohl bewußt ist, der stets hinter fast jedem Bild lauert, uns einen wohligen Schauer über den Rücken laufen läßt, uns auch mal irritiert und uns vor allem an die schöne Tradition abgründiger Jugenderlebnisse à la Ray Bradbury oder Stephen King erinnert, wo trotz der Idylle und den schönen Bildern das Dunkle, Bedrohliche, Unfaßbare niemals weit ist. Ein grausam schöner, schön grausamer Film, doppelbödig, sumpfig, witzig, unwiderstehlich und charmant. (28.2.)