„Route national 7“ (Uneasy Rider) von Jean-Pierre Sinapi. Frankreich, 2000. Nadia Caci, Olivier Gourmet, Lionel Abelanski, Chantal Neuwirth, Said Taghmaoui, Gérald Thomassin, Julien Boisselier
Gerade habe ich mich noch in stiller Verzweiflung über den Niedergang des französischen Films, so wie er zu uns importiert wird, verbreitet, und nun das hier, eine bescheidene Komödie über Behinderte aus Südfrankreich, im wackligen Dogmastil gefilmt, und wohl nicht nur für einen berufsgeschädigten Altenpfleger wie mich von vorn bis hinten der reine Genuß, wenn man so will, eine kleine, große Meisterleistung.
Eine moderne Einrichtung für Behinderte irgendwo im Süden zwischen Toulon und Marseille an der RN 7: René ist eine echte Giftschleuder, ein ungenießbarer Zeitgenosse, der seinen Lebensfrust gnadenlos an sämtlichen erreichbaren Mitmenschen ausläßt, bis er in Julie auf eine Betreuerin stößt, die hinter die schroffe Fassade blicken und verstehen will, was den guten Mann eigentlich peinigt. Die Antwort ist ebenso einfach wie pikant: Kein Sex mehr. Für die Lösung gilt dasselbe: Eine Prostituierte muß her, die es auch mit Behinderten macht und deren Wohnwagen groß genug für einen Rollstuhl ist. Natürlich kriegt Julie reichlich Ärger, als sie für René und sein Bedürfnis plädiert, vor allem von der frommen Fraktion des Hauses, doch schließlich startet sie einen Alleingang, findet eine Frau und in kürzester Zeit wandelt sich nicht nur René zu einem zufriedenen, umgänglichen Menschen, es findet zusätzlich auf breiterer Front eine kleine sexuelle Befreiung unter den Mitbewohnern statt, die den Beteiligten großen Spaß macht und von den Außenstehenden mit Mißtrauen beäugt wird. Julie allerdings, die all dies angezettelt hat, kriegt ihr eigenes Liebesleben längst nicht so gut auf die Reihe.
Jaja, das Helfersyndrom: Für die armen Alten/Behinderten/Kinder, oder was sonst noch alles hilfsbedürftig ist auf dieser Welt, läuft man sich die Hacken krumm und das eigene Leben bleibt halberlei auf der Strecke. So und nicht anders ist das im wirklichen Leben, womit der Film an dieser wie auch an allen anderen Stellen seine großartige Realitätsnähe demonstriert. So viele Situationen, Emotionen und Stimmungen sind unsereinem nur allzu bekannt, so vieles konnte ich unmittelbar nachempfinden, habe ich, in abgewandelter Form sicherlich, auch schon erlebt, daß ich mich von Anfang an vollkommen zuhause fühlte hier. Überhaupt kriegt man (oder nein: kriege ich) als Zuschauer hier ein ganz besonderes, gar nicht so häufig vorkommendes Gefühl, ein Gefühl von Wärme und Vertrautheit und von sehr viel Sympathie für die Leute hier. Ob Behinderte oder nicht, spielt dabei gar keine Rolle, denn Defekte haben auch die sogenannten Normalos genug im Gepäck, zerplatzte Ehen, Komplexe im Umgang mit dem eigenen und dem anderen Geschlecht, Katzenallergien und eine überzogene Selbstüberschätzung, die das weibliche gegenüber unweigerlich in die Flucht schlagen muß. Im Umgang mit den Bewohnern allerdings tritt zumeist eine tiefe Zärtlichkeit und Zuneigung zutage, die der Film im Ganzen so intensiv transportiert, daß ich diesmal wirklich gern von einer humanitären Gesinnung spreche, obwohl man damit ja landläufig nicht mehr so gern hantiert, zumindest jetzt nicht mehr, da jegliches Engagement längst dem Ausverkauf anheim gefallen ist. Es gibt nebenbei reichlich patzige und sehr witzige Szenen zum Thema Sex und Nomalos, Sex und Behinderte, Frömmelei, Sex und überhaupt, Nomalos da draußen und Behinderte da drinnen, und das Beste daran ist, daß der Film aus alledem gar keine große Show macht, nichts Wichtiges anprangern oder verkünden will, sondern sich auf fabelhaft konzentrierte und unspektakuläre Weise den Dingen widmet, die zu sagen er beabsichtigt. So merkt man gar nicht so richtig, daß es immerhin um Dinge wie Nächstenliebe, Toleranz, Freiheit und Respekt geht, aber natürlich auch um Spaß und (sagte ich das schon?) Sex. Zudem wirkt der Film in Milieu und den Darstellungen sehr authentisch, direkt und schnörkellos, er ruht in sich, weiß, daß er keine großen Phrasen und keine sentimentalen Szenen benötigt, er ist mit einem Wort: Toll. (29.3.)