„Sous le sable“ (Unter dem Strand) von FranVois Ozon. Frankreich, 2000. Charlotte Rampling, Bruno Cremer, Jacques Nolot, Alexandra Stewart, Pierre Vernier, Andrée Tainsy
Marie und Jean fahren wie jedes Jahr in die Landes in Ferien, machen es sich im Ferienhaus bequem, lesen, legen sich an den Strand, haben sich nicht so viel zu sagen, fühlen sich aber wohl. Eines Tages geht Jean zum schwimmen, während Marie noch am Strand in der Sonne liegen bleibt. Als sie wach wird, ist er weg und sie findet ihn nicht mehr wieder. Alle Suche bleibt erfolglos, sie fährt zurück nach Paris, und erst Wochen später wird eine Leiche gefunden, aber sie behauptet, es sei nicht ihr Mann. Sie fährt wieder ans Meer, und als sie über die Dünen zum Strand geht, sieht sie ihn weiter hinten am Meer stehen und läuft zu ihm hin.
Ein großartiger Film und ein ganz besonderes Erlebnis in diesen Zeiten, weil dies ein Film ist, der sich mal wieder ganz und gar auf einige wenige Menschen einläßt (und zwar wirklich einläßt) und dabei bleibt – ein psychologisches Drama im allerbesten Sinne, beeindruckend in seiner Intensität, seiner ruhigen, konzentrierten Erzählweise und der Anteilnahme und Ernsthaftigkeit, mit der er vor allem Marie begleitet durch eine traumatische Zeit. Es scheint vor allem um das Thema Verlust zu gehen und darum, wie Marie damit fertig wird. Sie negiert einfach Jeans möglichen Tod, weigert sich, im Gespräch mit ihren Freunden darauf einzugehen und lebt mehr und mehr in einer gespaltenen Welt, zum einen in der Realität, der sie sich nur mühsam stellen kann, zum anderen in einer Art Halluzination, in der sie noch immer mit Jean zusammen lebt, ihn zuhause trifft, mit ihm spricht, seine Nähe fühlt. In der Außenwelt läßt sie sich mit einem anderen Mann ein, doch sie hat ihre Seele herausgezogen aus diesem Leben, wirkt wie eine kalte, teilnahmslose Hülle. Die Versuche ihrer Freunde, sie mit sanftem Druck in die Realität zu holen, scheitern genauso wie die Versuche der Polizei und des Mediziners, sie von Jeans Tod zu überzeugen, sie will es nicht wahrhaben, will sich nicht dieser Wahrheit stellen. Darunter nämlich, in ihren Visionen und auch in den flüchtig sexuellen Begegnungen mit dem Liebhaber, kommt eine andere Angst zum Vorschein, die Angst vor einer großen Leere, nicht nur im künftigen, sondern auch bereits im vergangenen Leben. An der Oberfläche wirkten Marie und Jean entspannt, vertraut, abgeklärt, einander nahe, doch schon die Art und Weise, wie Marie später auf unbequeme Fragen nach eventuellen Depressionen Jeans reagiert, läßt ahnen, daß unausgesprochen und sicherlich verdrängt eine ganz andere Sichtweise dieser Ehe möglich gewesen wäre. Maries bittere Begegnung mit Jeans Mutter weist ebenfalls in diese Richtung, als ihr nämlich vorgeworfen wird, Jean nie richtig gekannt zu haben, ihm nie richtig nahe gewesen zu sein. Natürlich mag hinter der offenkundigen Verachtung der alten für die jüngere Frau die übliche weibliche Rivalität stecken, doch ein Unbehagen hinterläßt das grimmige, harte Gespräch auf jeden Fall. Je mehr Marie mit Derartigem konfrontiert wird, desto heftiger schottet sie sich dagegen ab, geht schließlich auf Distanz zur gesamten Umwelt, brüskiert ihre Freunde und den Liebhaber, und taucht vielleicht zuletzt ganz in ihren Wahn ein. Charlotte Rampling gestaltet diese Rolle mit brillanter, bewegender Intensität, und Ozon führt sie behutsam, ruhig und einfühlsam durch die Geschichte. Die langen, stillen Bilder vermitteln ein wunderbares Gefühl von der introvertierten, irrealen Wahrnehmungswelt Maries, bleiben dicht bei ihr, mißbrauchen sie aber nie für trivialpsychologische Kolportage oder schrille Sentimentalität. Ein künstlerisch und inhaltlich vollkommen abgerundeter, konsequenter und in jeder Hinsicht eindrucksvoller Film und sicherlich einer der schönsten aus Frankreich seit einiger Zeit. (30.11.)