„Vatel“ (#) von Roland Joffé. Frankreich/England, 2000. Gérard Depardieu, Uma Thurman, Tim Roth, Julian Sands, Timothy Spall, Hywel Bennett, Arielle Dombasle
Irgendwann im siebzehnten Jahrhundert reist Ludwig XIV. aufs Land nach Chantilly, um einen ziemlich verschuldeten Prinzen und talentierten Feldherrn zu überreden, ihm beim bevorstehenden Krieg gegen die Holländer zu helfen. Dieser Prinz de Condé hat zwar höllische Gicht und auch sonst gar keine Lust auf Krieg, weiß aber, daß dies vielleicht seine letzte große Chance ist, aus der Finanzmisere rauszukommen, und also beauftragt er seinen Kämmerer, Herrn Francois Vatel, ein atemberaubendes Spektakel zur Unterhaltung seiner Majestät zu veranstalten, um den verwöhnten Kerl aus Versailles milde zu stimmen. Vatel kniet sich mit vollem Einsatz in diese Aufgabe und triumphiert, doch bezahlt er diesen Triumph sehr teuer. Er verliebt sich in eine ebenfalls vom König umworbene Hofdame und muß zudem miterleben, wie er vom Prinzen de Condé beim Kartenspiel als Einsatz geboten und schließlich nach Versailles verschachert wird. Um dieser Demütigung zu entgehen, nimmt er sich das Leben.
Ein rauschendes Kostümfest an der Oberfläche, doch darunter verbirgt sich echt europäisches Kino mit Anspruch und für’s Hirn. In überraschend knappen gut anderthalb Stunden erzählt Joffé die Geschichte des königlichen Besuchs, eine unerfüllbare Liebesgeschichte, die Geschichte eines Mannes, der seine Freiheit über alles schätzt und jede Menge kleinere Geschichten über politische und höfische Ränke und Intrigen. Nicht zu vergessen die soziale Geschichte: Während sich in prunkvollen Festsälen das aufgeputzte Affengesindel bis zur Besinnungslosigkeit amüsiert, schwitzen und sterben in den Katakomben die kleinen Leute, die nur dafür da sind, dem reichen Pack den Wanst vollzuschlagen. Vatel steht zu diesen Menschen, es sind seine Leute, er selbst kommt aus dieser Unterschicht und hat niemals das Bewußtsein seiner Herkunft verloren. Auch wenn er ebenfalls manches Mal der höfischen Willkür und Laune hilflos ausgeliefert ist und im entscheidenden Moment eine erschreckende Naivität offenbart – wenn er nämlich an die Ehrenhaftigkeit seines Herrn glaubt -, verliert er nie seinen Stolz und seien Integrität. Sein Selbstmord ist extremer Ausdruck all dessen: Bevor er sich verkaufen läßt an den königlichen Hof, bevor er sich zur Ware, zum Sklaven, zum Spielball degradieren läßt, stirbt er lieber. Um diese zentrale Geschichte entfalten sich allerhand bissig-amüsante Episoden um Machtspielchen, Eifersüchteleien, Grausamkeiten, Eitelkeiten, königliches Besitzdenken, das Beißen und Schnappen der Hunde in den unteren Etagen und vor allem den unentwegten, verzweifelten Kampf der Männer Vatels gegen Zeit, Wetter, Lieferprobleme und andere Widrigkeiten, die stets und ständig den Erfolg der Festlichkeit zu gefährden scheinen. Joffé nutzt die Topographie des Schlosses zu eindrucksvollen Darstellungen einer komplett vertikalen Gesellschaftsordnung: Oben und unten bilden ständig drastische Kontraste – oben wird getafelt, gefeiert, gesungen, getanzt, geschwelgt, gevögelt, gevöllt – unten wird geackert, geschwitzt, gelitten, gestorben, gebuckelt und wie wild geschuftet. Vatel, der dort oben eckig, schüchtern, unbeholfen erscheint, ist hier unten zuhause, in seinem Element, ein genialer Organisator, brillanter Gestalter, ideenreicher Improvisator, einer der nie schläft, nie ruht und sich bis zur absoluten Erschöpfung verausgabt. Depardieu hat hier natürlich eine große Rolle, die ihn physisch und auch sonst fordert, und ich muß sagen, daß es mittlerweile zu einem großartigen Genuß geworden ist, diesem Mann auf der Leinwand zuzusehen. Längst nicht jeder seiner übermäßig zahlreichen älteren Filme ist gut, längst nicht jede seiner doch oft launischen Darstellungen ist gut, aber in den letzten Jahren hat er sich wirklich fabelhaft stabilisiert und zu einem perfekten Schauspieler entwickelt, der vor allem ohne jede Übertreibung oder große Gesten auskommt, der allein mit kleinsten Regungen seines Gesichtes mehr auszudrücken vermag, als die meisten seiner Kollegen mit all ihrem Getue. Mir ging es jedenfalls immer dann besonders gut, wenn Depardieu im Bild zu sehen war, und fast tat es mir diesmal leid, daß der Film verhältnismäßig knapp bemessen war, obgleich dies natürlich auf der anderen Seite ein ziemlicher Vorteil ist, denn so ein Kostümfilm gerät schnell in Gefahr, langatmig und nur noch opulent zu sein. Joffé inszeniert sehr straff, sehr präzise und unpathetisch, achtet darauf, daß der Prunk niemals die Substanz überlagert und bietet somit einen Festschmaus für alle Sinne. Ennio Morricone darf sich selbst ein bißchen plagiieren und tut dies mit viel Gefühl und Geschmack, die Schauspieler um Depardieu (die Männer, weniger die Frauen) schlagen sich sehr wacker und immer wieder gerät man ob der vielen Mätzchen und Einfälle des Herrn Vatel in Erstaunen. Alles in allem: Sehr schön und sogar mit Tiefgang. (5.8.)