„Tillsammans“ (Zusammen!) von Lucas Moodysson. Schweden, 2000. Lisa Lindgren, Mikael Nykvist, Gustaf Hammarsten, Anja Lundqvist, Jessica Liedberg, Ola Norwell, Shanti Roney
Zusammen heißt die Kommune in Stockholm, anno 1975. Eines Morgens ist Franco plötzlich tot. Alle feiern. An den Wänden hängen Che Guevara, Lenin und Mao. Die Kinder heißen Tet (nach der besagten Offensive) und so, und es gibt kein TV, kein Fleisch und keine Cola. Dafür gibt es offene Zweierbeziehungen. Und Frauen, die plötzlich lesbisch werden und sich nicht mehr die Achselhaare wegrasieren. Und Männer, die statt Sex zu machen lieber über das Proletariat und den Sozialismus debattieren wollen. Und andere Männer, die über Haferbrei philosophieren. In diese Kommune gerät eines Tages Elisabeth mit ihren beiden Kindern. Sie ist vor ihrem alkoholisierten, prügelnden Mann geflohen. Und nun geraten die Dinge etwas in Bewegung.
Wem (wie mir) auch nur irgendwas an den siebziger Jahren, den viel bescholtenen und verspotteten, liegt, hat womöglich des öfteren nachts wach gelegen und sich das Hirn zermartert: Aber irgendwas muß doch gut gewesen sein an ihnen, oder nicht? Eine Antwort auf diese Frage – und alles andere natürlich auch – findet sich in diesem wundervollen, zärtlichen, erschütternd witzigen, erschütternd wahrhaftigen, bemerkenswert fairen und ehrlichen Film, der Freud und Elend dieses merkwürdigen Jahrzehnts auf den sprichwörtlichen Punkt bringt, ohne sich dabei im geringsten anzustrengen, zu verrenken oder vielleicht drei lange Stunden damit zuzubringen. Alles ist drin: Die haarsträubend absurden Ideologieschlachten am Frühstückstisch, das elend kleingeistige Gezanke um Abwasch und Haushaltskasse, die furchtbare Lüge der offenen Partnerschaft, die spießige Verbohrtheit in Fragen der Politik und des Konsums, die Einsicht, daß früher oder später jede Freundschaft in Fetzen fliegt, wenn man sich tagaus tagein ständig auf der Pelle hockt, aber auch dies: Zusammen, das ist das große Wort. Ein anderer einsamer Mann, der sich mit dem verlassenen Gatten solidarisiert und ihm wieder auf die Sprünge hilft, bringt es in eine griffige Formel: Lieber zusammen Haferbrei essen, als allein ein Schweinekotelett. Und so gibt es sie eben auch, diese schönen Momente der Gemeinsamkeit, das Fußballspiel im Schnee, das ausgelassene Herumalbern von Groß und Klein, die Wärme und Zärtlichkeit, die trotzt all der törichten Egozentrik der törichten Erwachsenen zwischendurch doch immer noch Platz fanden. Nicht umsonst wird vieles mit Kinderaugen gesehen, denn die Kinder, soviel ist klar, waren die Opfer der ganzen Sache, sie verzweifelten über das endlose, dumme Gequatsche, über die unverständlichen Verbote und Sanktionen, über das nächtliche Bäumchen-wechsel-dich-Spiel, über die täglichen Spannungen zwischen den verschiedenen politischen Fraktionen, über die Selbstbezogenheit der Großen, die nie ein Ohr hatten für die Kleinen, ihnen idiotische Namen gaben (Tet beispielsweise, nach der berühmt-berüchtigten Offensive des Vietkong), Pippi Langstrumpf materialistisch und kapitalistisch fanden und ihnen lieber gleich was von Pinochet oder Vietnam erzählten anstatt ihnen einfach ihre Kindheit zu lassen. Unter der Last der Ideologisierung fast aller Dinge des Alltags brechen nicht nur die Kinder fast zusammen: Ein enttäuschter Kämpfer für die Idee räumt das Feld, ein schwuler Mitbewohner sehnt sich nach einem Partner, ein standhaftes Pärchen geht, als der Fernseher dann doch kommt und wechselt über zu „Mutter Erde“, wo offensichtlich noch die reine Lehre gelebt wird, und die frischgebackene Lesbe muß lernen, daß sie nicht jede Frau automatisch in ihr Lager zerren kann. Das ist prägnant, präzise und mit atemberaubender Treffsicherheit inszeniert, sowohl in Bildern als auch in Worten. Sehr häufig treffen einzelne Szenen oder Sätze, kurze Momente und Gedanken direkt ins Mark, manche tun direkt weh, so wahr und klar und einfach sind sie, soviel sagen sie über Kinder und Eltern, so sehr scheinen sie (obgleich der Film an sich überhaupt nichts Polemisches hat) an alle Eltern zu appellieren, um Gottes Willen ihre Kinder nicht immer zu Opfern zu machen. Dann wieder gibt es viel Spaß, viel Groteskes, einige genußvolle Schläge gegen das Spießerschweden von gegenüber, das zum Onanieren in den Keller geht, die eine Hand am Porno, die andere zur Täuschung der Ehefrau an der Werkbank lärmend. Die Sympathien liegen eindeutig bei den Kommunarden, aber es ist keine blinde, einseitige, verklärende Sympathie, sondern eine sehr kritische, differenzierende Sympathie, die deshalb vom Publikum so intensiv nachempfunden werden kann, weil Drehbuch, Regie, Darsteller und die anderen Gestalter mit offenkundiger Liebe und viel Begeisterung zur Sache schritten. Und welche musikalische Klammer könnte dem heimlichen Nostalgiker mehr zu Herzen gehen als Abbas „S.O.S.“? Also: Allerbestes Schwedenkino, so selten wie es nun mal geworden ist bei uns. (24.4.)