„101 Reykjavik“ (#) von Baltasar Kormákur. Island, 2000. Hilmir Sneer Gudnasson, Victoria Abril, Hanna Maria Karisdottír, Baltasar Kormákur
Hlynur ist Ende Zwanzig, wohnt noch bei Mama, läßt sich von ihr aushalten und bekochen, hat schlicht und ergreifend Lust zu absolut gar nichts und gefällt sich höchstens darin, daß er ab und zu mit einem Mädchen schläft und die Arne ansonsten mies behandelt. Mit einem ähnlich pubertär gebliebenen Freund zieht er durch das tobende Nachtleben der isländischen Hauptstadt, an jedem Wochenende stirbt er, um anschließend neu zu erstehen, und insgesamt tut er alles in seiner Macht stehende, um ja nicht erwachsen zu werden und für irgend etwas oder irgend jemanden Verantwortung übernehmen zu müssen. Aufgerüttelt wird er schließlich doch, als Mama eine spanische Flamencolehrerin anschleppt und sich kurze Zeit später als Lesbe outet. Damit kommt sich aber schon zu spät, denn ihr Filius hat bereits mit der Dame kopuliert, und dieser sexuelle Kontakt hat Folgen, nämlich ein Kind, was den windigen Hlynur nun doch dazu bewegen wird, sich auf die eine oder andere Weise darauf einzustellen.
Aus Island kennt man eine Reihe wortkarger, sperriger, kratziger Filme, mal dunkle Dramen, mal groteske, liebenswerte Komödie, aber keine von ihnen hatte bisher soviel Temperament und soviel Willen zur völligen Überdrehtheit wie dieser sehr komische und durch und durch gut gelaunte Film. Auf politische Korrektheiten wird wenig gegeben, erst recht nichts auf Sittsamkeit oder Disziplin, und am aller wenigsten wird darauf geachtet, daß Island letztlich einen Ruf als kaltes, einsames und irgendwie totes Land zu verteidigen hat. Im Gegenteil: Hier brodelt das pralle Leben, man amüsiert sich auf Teufel komm raus und schert sich einen Dreck um das Morgen und die Folgen der letzten Nacht. Hlynur und sein Kumpel provozieren durch eine betont zur Schau gestellte Machotour, machen alle Mädchen auf die blödest mögliche Tour an, legen keinen Wert auf Treue, Zuverlässigkeit und sonstiges Weicheiergetue, im Gegenteil, sie tun alles, um sich diese Mädchen durch möglichst gemeines und verletzendes Verhalten vom Leibe zu halten. Dazu kommt eine strikte Weigerung, ihre Zukunft zu planen oder sich gar Gedanken über berufliches Fortkommen zu machen. Solange Mama nicht streikt, frißt man sich weiterhin durch, lungert vor der Glotze, döst in der Wanne, onaniert ausgiebig und nimmt an sämtlichen familiären Festivitäten nur äußerst widerwillig teil. Ob man dies nun liebenswert anarchistisch und unangepaßt oder einfach unreif, egozentrisch und destruktiv nennen will, bleibt jedem selbst überlassen, würde als mögliches Diskussionsthema in diesem Film wohl auch zu weit führen, denn im Grunde geht es nur um frechen, sehr respektlosen und frivolen Spaß, möglicherweise auch um parodistische Seitenhiebe auf bürgerliche Wohlanständigkeit und Moral und sowas in der Richtung. Spielt vielleicht auch gar keine Rolle, denn den erwähnten Spaß hat man auf jeden Fall bei sehr hohem Tempo, ausgezeichneten Schauspielern und einer sehr guten Dosierung optischer und verbaler Gags, die doch in beträchtlicher Anhäufung vorkommen. Selten so viel gelacht bei einem nordischen Film, und das allein ist ja auch schon eine Menge wert. (21.8.)