Drei Geschichten aus der großen Stadt Mexikos, drei Geschichten, die ineinander verschränkt sind, die aber, anders als in vielen ähnlich konstruierten Filmen, geradezu tragisch und dramatisch aufeinander einwirken:

Octavio und sein Freund schlagen sich ohne Arbeit irgendwie durch. Der Bruder hat ein Mädchen geheiratet, das er mies behandelt und das Octavio auch liebt. Mit Hundekämpfen macht er einen Haufen Geld und will das Mädchen überreden, mit ihm fortzugehen. Der letzte Kampf allerdings hat schlimme Folgen, es fällt ein Schuß, ein Messer sticht zu und bei der anschließenden Verfolgungsjagd rast Octavios Auto in das Auto einer anderen Frau. Octavio überlebt knapp, der Freund stirbt.

Die Frau ist ein erfolgreiches Model, ein TV-Star, die gerade einen verheirateten Mann geangelt und eine gemeinsame Wohnung bezogen hat. Alles ist gut, doch dann der Unfall: Das gebrochene Bein wird geschient, die Karriere ist plötzlich gefährdet, erste Verträge werden gekündigt, und dann bricht der über alles geliebte Schoßhund auch noch durch ein Loch im Fußboden und droht, von Ratten gefressen zu werden. Die Beziehung knackt, es gibt einen Selbstmordversuch und dann eine Amputation. Valerias Leben als umschwärmtes Model in Saus und Braus ist gelaufen.

Der Unfall von vorhin wurde auch von Chivo, einem Gammler mit Struppelbart beobachtet. Er schnappt sich den schwer verletzen Kampfhund Octavios und zieht von dannen, an den Rand der Stadt, wo er mit vielen anderen Hunden in Armut und Dreck haust. Dann tötet er für Geld einen Mann und erhält einen weiteren Auftrag. Wir erfahren, daß er früher mit Familie ganz bürgerlich lebte, dann zu den Guerilleros ging, zur Armee und dann abtauchte. Nun will er nachdem seine Frau gestorben ist, unbedingt seine Tochter wiedersehen, die ihn für tot hält. Er bewältigt den letzten Auftrag auf seine Weise, in dem er Auftraggeber und Opfer einfach sich selbst überläßt, kleidet sich neu ein, rasiert sich und macht sich auf den Weg in die Stadt.

 

Drei Geschichten, die am Schluß drei Menschen als Wartende zurücklassen: Octavio wartet am Busbahnhof auf das Mädchen, das wohl nicht mit ihm fahren wird. Valeria steht am Fenster und wartet auf nichts, außer auf ein Leben ohne Freude und Zukunft. Chivo geht in die Stadt und wartet auf seine Tochter und darauf, was dann passieren wird. Keine geschlossenen Geschichten, keine mit einem umrissenen Ende, drei offene Geschichten, drei Geschichten, die sich in jedwede Richtung entwickeln können. Nachdem, was zuvor zweieinhalb Stunden lang geschehen ist, hat man allerdings als Zuschauer wenig Anlaß zum Optimismus, denn es präsentiert sich eine düstere, gewalttätige, einsame Welt, eine Großstadtwelt voller Aggressionen, geprägt vom Kampf um Geld, um Liebe und ums Überleben. Die erste und die dritte Geschichte knüpfen im Milieu eher aneinander an, zeigen Randfiguren, arbeitslose, heruntergekommene Männer (zumeist) in trister Umgebung, die ihre Frauen schlagen und betrügen, die Drugstores überfallen, die Hunde einander für Geld zerfleischen lassen, die anderen Menschen für Geld töten, die sich eigentlich aus dem bürgerlichen Leben ganz zurückgezogen haben. Man denkt, obgleich der Film hier natürlich fünfzig Jahre moderner ist, an Luis Buñuels großen Klassiker „Los olvidados“, weil es hier um ganz ähnlicher Dinge geht, Mensch, Müll, Hund, Verkrüppelung, Gewalt und Tod, und weil vor allem die Stadt als Brutstätte dieser degenerierten, brutalisierten „Zivilisation“ ganz ähnlich gesehen wird. Die Mittelgeschichte hat mir zunächst einiges Kopfzerbrechen bereitet, weil sie vom Umfeld so gar nicht hereinpassen will in den Rahmen, doch dann erkennt man, daß es, wenn auch in schickerem Design und mit weniger Blutvergießen, um dieselben Dinge geht, um die Sehnsucht nach Erfolg (nur das es in diesem Falle umgekehrt läuft, und der Erfolg verloren geht), nach Geborgenheit, Glück undsoweiter. Die  Episode mit dem Hund unterm Parkett, der nachts kratzt und winselt, wird fabelhaft erzählt, sie ist abwechselnd albern, grotesk, fast unheimlich und auch wieder traurig und sie zeigt außerdem Menschen, die gar keine anderen Probleme zu haben scheinen, als sich um einen blöden Köter zu sorgen, und die dann aber, wie man später sieht, doch ganz massive Probleme haben, sie nur eben nicht so offen austragen. Auch hier schlägt das Schicksal zu, wie überhaupt Octavio und sein Hund furchtbare Wellen schlagen um sich herum. Nicht nur reißen sie sich selbst ins Unglück, sondern auch noch eine Reihe andere Menschen und auch Tiere, denn Chivos Lieblinge, fünf oder sechs an der Zahl, werden von dem trainierten Killerhund sämtlich zerfleischt. Ein äußerst rauher, ruppiger Film, großartig in seinem Tempo, seiner Intensität und den Darstellern, völlig kompromißlos in seinen Bildern von der Stadt und den Menschen, eine rasante Fahrt zwischen tiefer Trauer, sehnsüchtiger Zärtlichkeit, abgründiger Gemeinheit, explodierender Gewalt und tiefer Einsamkeit. Lange schon hat sich Lateinamerika nicht mehr so eindrucksvoll, kraftvoll und nachhaltig im Kino präsentiert, und man sieht, daß es höchste Zeit dafür wurde. Sie hätten soviel zu sagen und zu zeigen aus ihrer Welt, nur erleben wir im fernen Europa das nur ganz selten mal. (24.6.)