„Der Felsen“ von Dominik Graf. BRD, 2002. Karoline Eichhorn, Antonio Wannek, Sebastian Urzendowski, Ralph Herforth, Peter Lohmeyer, Caroline Schreiber, Ulrich Gebauer

Katrin reist mit ihrem Geliebten nach Korsika. Es wird eine Abschiedsreise: Er hat sich entschieden, bei seiner schwangeren Ehefrau zu bleiben und die Beziehung zu lösen, bittet sie gleichzeitig um diese letzten Tage auf der Insel. Schließlich ist sie allein, läßt sich zunächst treiben, gerät an zwei Fremdenlegionäre, die einem alten Voyeur für Geld Sex vorführen, gerät an eine Gruppe deutscher Jugendlicher. Einer von denen, Malte, hängt sich hartnäckig an sie, doch sie verlieren immer wieder Kontakt. Dann ist er plötzlich wieder da, bestürmt sie mit Gefühlen. Sie bleibt skeptisch, weil sie erfährt, daß er in einem Camp zur Resozialisierung straffällig gewordener Jugendlicher lebt und hier seine definitiv letzte Chance erhält. Er pfeift auf diese Chance, bricht aus, um mit ihr zusammen zu sein. Gemeinsam mit seinem jüngeren Bruder fliehen sie zu dritt in die Berge, dann zurück in die Stadt, wo er beim letzten Fluchtversuch ums Leben kommt, nachdem er zuvor Katrins Ex-Geliebten beim Raub am Strand lebensgefährlich verletzt hatte.

Ein Frauenfilm, ein Liebesdrama, ein Abenteuerfilm, alles mal ganz anders erzählt. Die mittlerweile offensichtlich zur künstlerischen Norm erhobene wackelnde Digitalkamera dient keineswegs im Dogmastil dazu, das Geschehen möglichst ungekünstelt und live einzufangen, sondern schafft teilweise verfremdete, entrückte, fast psychedelische Bilder, will eintauchen in die Wahrnehmung der Personen, vor allem natürlich der Katrins. Sie erlebt, betäubt durch den Schmerz der Trennung, die unerträgliche Anspannung des quälend langen Abschieds, vieles zunächst wie benommen, wie in Trance, läßt sich gehen, läßt sich zum Objekt machen, betrachtet sich selbst wie eine dritte Person mit lächelnder, ungläubiger Distanz. Auch in ihren Gefühlen zu Malte findet sie keinen Mittelpunkt, fühlt sich mal zu ihm hingezogen, mal abgestoßen von seinem wilden Dasein ohne Zukunft. Sie ist vermutlich mehr als doppelt so alt wie er, kann seine Illusionen nicht teilen, seine unbekümmerte Sorglosigkeit, die nur auf den Moment schaut, alle Hindernisse ignorieren will und nicht ans Morgen denkt. In diesem starken Spannungsfeld überschlagen sich gelegentlich die Ereignisse, kommen dann wieder zur Ruhe, doch die Erzählung selbst findet diese Ruhe kaum, was meiner Meinung nach ein Nachteil dieser besonders „unmittelbaren“ Kameraästhetik ist. Die zweite Schwäche des Films liegt, zumindest im Nachhinein betrachtet, in den von Jeannette Hain gesprochenen Off-Texten, die einige Lücken in der Erzählung schließen und zusätzlich Auskunft über die mentale Verfassung der Personen geben sollen, im Grunde aber nur eine eigenartige Distanz erzeugen, die nicht zum Film paßt und darüber hinaus die Personen ein wenig degradieren, sie zum Objekt einer übergeordneten Interpretation machen. Dies Letztere wäre nicht nötig gewesen, denn wir Zuschauer haben Augen zum Sehen und ein Hirn zum Denken, und außerdem ist es manchmal nicht von Übel, wenn man den Menschen einen Rest Geheimnis läßt.

 

Abgesehen davon aber ist der Film schon ungewöhnlich, außerordentlich. Seine Intensität ist enorm, zwingt von Anfang an zur Aufmerksamkeit, zum gebannten Hinschauen und hält an bis zum Schluß. Dies ist vor allem den Schauspielern zu verdanken, die eine selten gesehene Präsenz entfalten, uns förmlich in ihre Nähe ziehen. Natürlich steht die grandiose Karoline Eichhorn im Mittelpunkt des Films, doch würde ich sie im Vergleich zu den übrigen noch nicht einmal so stark herausheben, denn sie alle sind großartig und bewahren die Geschichte sehr wesentlich davor, nichts weiter als ein Melodram unter mediterraner Sonne zu sein. Natürlich hat Dominik Graf für eine in vielen Details ganz altmodische Story (Urlaubsliebe ohne Perspektive, junger Mann – alte Frau, tragisches Ende usw.) eine ganz moderne (wenn auch in heutigen Zeiten längst nicht mehr unkonventionelle) Betrachtungsweise gewählt, kompromißlos, teilweise auch in seiner Erotik überraschend direkt und frei, doch ohne seine Schauspieler, die er ganz hervorragend führt, wäre dieses riskante Konzept sicherlich baden gegangen. Ist es nun aber nicht, und so hat man einen weiteren erstklassigen deutschen Film, der bei aller Ernsthaftigkeit und Dramatik niemals steif, schwerblütig oder sonstwie überladen wirkt. (7.8.)