„L’Anglaise et le duc“ (Die Lady und der Herzog) von Eric Rohmer. Frankreich, 2001. Lucy Russell, Jean-Claude Dreyfus, Alain Libolt, Charlotte Véry, Rosette, Leonard Cobiant, Caroline Morin, Marie Rivière

Das waren noch Zeiten, einst in den späteren Achtzigern. Da garantierte der Name Rohmer für vergnügte, randvolle Kinosäle, für ein vorfreudiges Publikum und für ein paar lukrative Wochen der einschlägigen Programmkinos. Und nu? Läuft sein neuester Film für ganze vier Vorstellungen in der größten Stadt weit und breit („Oberzentrum“ nennt sich das dann auch noch), und gleich die erste wird von sage und schreibe fünf Figuren besucht. Gibt es in diesem Kaff denn gar keine Cineasten mehr, die allein der große Name ins Kino lockt? Oder hat der Name Rohmer am Ende doch seinen Glanz verloren, was ich mir aber eigentlich gar nicht vorstellen kann, denn seine letzten Filme, die aus dem Zyklus der vier Jahreszeiten meine ich, waren doch wirklich gut bis zum Teil sehr gut. Naja gut, dieser Film läßt sich nicht ohne weiteres mit dem übrigen Werk des alten Knackers (über achtzig ist der mittlerweile schon!) in Verbindung bringe. Man erinnere sich: Mitte der Siebziger brachte er schon mal sowas heraus, seine Kleist-Verfilmung „Die Marquise von O...“, sehr streng und akademisch, recht trocken und steif (unter uns gesagt auch ein wenig zäh und langwierig), und sicherlich nach den teilweise glanzvollen Filmen aus der Reihe der moralischen Geschichten eher gewöhnungsbedürftig.

So ungefähr könnte es auch jetzt aussehen: Eine Geschichte aus der Zeit der französischen Revolution, das Schicksal einer englischen Royalistin zwischen 1790 und 93, als die Dame in massivste Bedrängnis gerät durch ihre Freundschaft zum Herzog von Orléans, dessen unklare und zwischen Königstreue und Revolution schwankende Haltung das Mißtrauen der Revolutionäre erregt und letztlich zu seiner und beinahe auch noch zu ihrer Hinrichtung führt. Allein durch den Sturz Robespierres wird sie vor der Guilloutine gerettet, aber zuvor war sie, wie viele andere, durch die bösen Mühlen der revolutionären Inquisition gegangen, hat die blutrünstige Verfolgung der Adeligen und Königstreuen miterlebt, hat die aufgespießten Köpfe durch die Straßen von Paris wandern sehen, hat am eigenen Leib erlebt, wie es ist, wenn man der Willkür und dem jahrhundertelang geschürten Haß der Menge ausgeliefert ist.

 

Sicher, all diese Geschichten sind sehr lange her, und was soll uns das heute noch kratzen? Und außerdem, was hat so ein Film mit Eric Rohmer zu tun? Wo bleiben Leichtigkeit und Charme, wo seine heiteren, ironischen, erotischen Ränkespiele, wo seine immer wieder erneuerte Liebeserklärung an die jungen Leute, ihre Liebesnöte und ihre unendlichen Verstrickungen? Von all dem ist hier nichts geblieben, und man muß zugegeben schon eine gewisse Neigung zur Historie, speziell zu dieser Historie haben, wenn man nicht nach kurzer Zeit gelangweilt den Saal räumen möchte. Wer allerdings die nötige Geduld aufbringt, wird meiner Meinung nach doch reich entschädigt durch einen Film, der zwar sehr ruhig, gemessen, zumeist kammerspielartig aufgebaut ist, dafür aber von innen heraus eine nicht unbeträchtliche Spannung entwickelt und, so habe ich es jedenfalls erlebt, überhaupt gar nicht langweilig ist, der es fertig bringt, Geschichte zu erzählen, und sie nicht nur abzufilmen, sondern sie wirklich lebendig und interessant zu machen, indem er ein Einzelschicksal dazu benutzt, etwas mehr über das große Ganze zu sagen. Die Memoiren der Engländern Grace Elliot dienen als Vorlage für den Film. Sie erlebt den dramatischen Umsturz, die Sorge der privilegierten Schichten um die eigene Zukunft und um die Familie des Königs, ihre Versuche, die Mitstreiter im Geist in Sicherheit zu bringen, vor den blutrünstigen Patrouillen der Revolutionäre zu verstecken, schließlich die eigene Verfolgung und die häufige Konfrontation mit dieser neuartigen Form der Diktatur, genauso unbarmherzig und brutal wie die alte, nur eben unter anderer Flagge. Rohmer erstrebt sicherlich keine groß angelegte Aussage über die Revolution und ihre einzelnen Kräfte und Faktoren, aber er betont schon ein paar Dinge, und macht vor allem diese Epoche aus der Sicht der Lady und ihrer engeren Umgebung lebendig. Dabei bedient er sich einer ungewöhnlichen und sehr originellen Technik: Die Dekors, die Straßen, Häuser, Landschaften, Parks und Landsitze sind allesamt gezeichnet, und mittels raffinierter Computeranimation werden die bewegten Figuren in diese Dekors hineinkopiert, so daß ein zwar äußerst künstlicher, aber auch faszinierender Eindruck entsteht, ungemein ökonomisch und auch wirkungsvoll irgendwie. Ansonsten setzt Rohmer dann doch wieder auf seine bewährten Stärken: Die Flüssigkeit der Dialoge (auf dem Gebiet hat er absolut nichts verlernt) und die Überzeugungskraft der wie immer eher unbekannten Schauspieler, die ein homogenes, äußerst starkes Team abgeben. Man folgt dem Geschehen doch wieder gespannt, läßt sich hineinziehen in diese merkwürdige Welt und in die teilweise recht gefährlichen Operationen der Lady, die einen Royalisten deckt, bei sich unterbringt und dann nach England in Sicherheit bringen läßt, die immer wieder laut und deutlich ihrer politischen Überzeugung Ausdruck verleiht und fast noch dem Fanatismus der Ankläger und Hinrichter zum Opfer fällt. Ein optisch wie inhaltlich sehr reizvoller Film, vielleicht nicht gerade der Rohmer-Film für die einsame Insel, aber auf jeden Fall keiner der ein solches Schattendasein verdient hat, denn ich habe auch von Rohmer schon einige schwächere gesehen. (10.10.)