„Gosford Park“ (#) von Robert Altman. England/USA, 2001. Michael Gambon, Maggie Smith, Helen Mirren, Emily Watson, Alan Bates, Charles Dance, Kristin Scott-Thomas, Ryan Philippe, Jeremy Northam, Derek Jacoby, Stephen Fry, Bob Balaban, Richard E. Grant, Kelly MacDonald, Camilla Rutherford, Geraldine Somerville, Tom Hollander

Die britische Upper Class der frühen Dreißiger, ein mysteriöser Mordfall anläßlich eins Jagdwochenendes auf dem Herrensitz zu Gosford Park, das typisch englische Miteinander von Herrschaften und Dienstboten – all dies erinnert viel eher an einen James Ivory-Film und scheint auf den ersten Blick nicht gerade ein naheliegender Stoff für den Amerikaner Robert Altman zu sein, aber eben nur auf den ersten Blick. Denn man erinnere sich an „Nashville“ oder „A wedding“, die ultimativen Altmanfilme und man erkennt augenblicklich, was den ollen Knacker an dieser Story gereizt hat: Dreißig Leute dicht aufeinander in einem Haus, Stimmengewirr treppauf, treppab, Bosheiten und Intrigen zuhauf und somit natürlich die köstliche Chance, Satire mit maximaler Konzentration, sozusagen auf engstem Raum und mit vergleichsweise höchst geringem Aufwand betreiben zu können. Und so stürzt man sich also lustvoll und mit viel Vorfreude in das Jahr 1932, in die Zeit knatternder Oldtimer, prächtiger Pelze, erlesener Diners, tutender Jagdhörner, übermütiger Ballerei auf Fasane und natürlich einer übermäßigen Portion häßlichsten Standesdünkels. Die alte Serie „Upstairs - downstairs“ kommt uns in Erinnerung – oben tummelt sich die feine Gesellschaft bei Wein, Gesang, Geschwätz und üppigen Mahlzeiten und unten, sozusagen in den schummrigen Eingeweiden des Herrenhauses schwitzen, ackern, schwatzen, tuscheln, hasten, kochen, bügeln, schrubben und lauschen die Bediensteten, die sich natürlich sofort daran gemacht, untereinander wiederum eine strenge Hierarchie zu entwickeln, denn egal wieviele Snobs ihnen auf dem Kopf herumtrampeln, es gibt meisten immer noch jemanden, der unter einem steht und an den man dann den eigenen Frust, die eigene Erniedrigung weitergeben kann. Altman nimmt sich bestimmt schon mal eine Stunde Zeit dafür, sich genüßlich nur diesem Miteinander der verschiedenen Klassen in Gosford Park zu widmen – den geldgierigen, fiesen, verlogenen, herrschsüchtigen, frustrierten Spielchen der reichen oder eben nicht mehr ganz so reichen Schnösel oben im Salon, und der entsprechend eingefärbten Variante der Diener ein Stockwerk tiefer. Es geht um geplatzte Liebesträume, um geplatzte Geschäfte, um Ehebruch, um heimliche Schecks, um üble Nachrede, um Spott beim Bridge, um einen Stummfilmstar, der den Weg zum Tonfilm nicht geschafft hat (Ivor Novello, den gab’s wirklich, der hat mal bei Hitchcocks „The Lodger“ von 1926 mitgespielt) und es geht um den Tyrannen (Michael Gambon, der sich ganz offenkundig prächtig amüsiert in dieser gemeinen Rolle), den all hassen, weil er sich wie ein Schwein aufführt, und der schlußendlich um die Ecke gebracht wird, was die Zahl der Verdächtigen auf gut zwei Dutzend festlegt. Ein Inspektor stolpert auch noch durch das Geschehen, freundlich, wirr und total inkompetent, und das ist nun Altmans ganz normale Art, dem Genre des Whodunit à la Agatha Christie seine Reverenz zu erweisen – flapsig und wie nebenbei, und niemand sollte auf die Idee kommen, daß dieser Film etwa eine Hommage an den klassischen britischen Kriminalroman sein könnte, weit gefehlt! Überhaupt legt sich das fröhliche Gekicher im Zuschauerraum nach zwei Dritteln der Spielzeit allmählich, weil man doch merkt, daß es irgendwie ernster wird. Altmans Gesellschaftskritik wird zunehmend beißender, schärfer, weil er nicht mehr mit seiner bewährten boshaft-leichten Hand zu Werk geht, sondern ganz plötzlich den Blick in die Abgründe, die Dramen öffnet. Der Ermordete hatte dutzendfach Verhältnisse mit ihm untergebenen Fabrikarbeiterinnen, aus denen viele Kinder hervorgingen, die wiederum ins Heim geschafft wurden, um die Wahrheit zu verschleiern. Hinter jeder dieser Geschichten steckt eine Tragödie, und Helen Mirren, die am Schluß ganz grandios die Kurve kriegt, verkörpert in ihrer Darstellung diesen Bruch: Plötzlich ist sie nicht mehr diese altjüngferliche, fast geschlechtslose, herrische Dienerin, sondern eine Mutter, die sich ihrem Sohn nicht offenbaren kann und verzweifelt zusammenbricht, nun doch getröstet von ihrer Schwester (die selbst ihr Kind verloren hat), mit der sie in erbitterter jahrelanger Feindschaft gelebt hat. Nun ist die Leichtigkeit verschwunden, die süffigen Pointen, die schnellen, kleinen Gemeinheiten so nebenbei, die garstigen Bonmots, die fast im allgemeinen Sprachgewirr untergehen. Die Frau des Verstorbenen – desillusioniert, einsam und viel zu jung für diese Rolle. Der Chefbutler – ein hilfloser, torkelnder Trinker, die nur noch mühsam die Fassade aufrecht halten kann. Eine Dienerin, die letzte Geliebte des Toten – sang- und klanglos, aber erhobenen Hauptes aus dem Haus. Alles fällt auseinander, aber vielleicht kommt man ja im nächsten Jahr wieder zusammen, genauso versnobt und verlogen wie immer. Gerade diese Wendung im letzten Teil macht für mich die größte Qualität des Films aus, der zuvor nach Altmanscher Art brillant, geistreich, unterhaltsam und bissig dahinplätschert, souverän gefilmt und organisiert und natürlich großartig gespielt von einem Ensemble, das keine Wünsche offen läßt und das die absolut perfekte Wahl ist. Aber der Film hat eben doch einen längeren Atem als nur den einer funkelnden Gesellschaftskomödie, er ist schärfer, greift tiefer und biedert sich in keiner Weise bei einem erwartungsfrohen Publikum an - wer also erlesene, gediegene, aber letztlich seichte und etwas unverbindliche Unterhaltung erhofft hat, wird sicherlich enttäuscht. Zweieinviertel Stunden sind dafür zu lang und es wird zum Schluß halt zu ernst, und sowieso hat Altman seine Gags ja noch nie so in den Vordergrund gespielt wie andere Regisseure. Billige Effekte waren noch nie seine Sache, und genau deshalb hat er auch diesmal wieder ein Meisterwerk gedreht und zwar eines, das nahtlos an seine großen Taten früherer Zeiten anknüpft. (21.6.)