„Halbe Treppe“ von Andreas Dresen. BRD, 2001. Steffi Kühnert, Axel Prahl, Gabriela Maria Schmeide, Thorsten Merten
Zwei Paare, befreundet, in Frankfurt/Oder: Ellen arbeitet als Kosmetikerin, ihr Mann Uwe hat einen Imbiß auf halber Treppe. Katrin arbeitet an der Grenze nach Polen und hat irgendwie mit den abzufertigenden LKW zu tun, ihr Freund Chris ist Moderator beim Sender „Welle 24“ oder so. Ellen und Chris kommen sich eines Tages näher, fangen eine Affäre an und rufen damit eine Menge Streß hervor. Am Schluß aber kann sich Chris nicht für einen endgültigen Wechsel entscheiden und geht zurück zu Katrin, während Ellen die beiden Kinder nimmt und Uwe wohl doch auf Dauer verläßt. Chris, der Spezialist für Radiohoroskope, hat alles vorhergesagt und manipuliert, und er ist es auch, der Uwe am Schluß Mut zuspricht: Wenn man die Augen aufmacht, wartet vielleicht doch an der nächsten Ecke das große Glück.
Großes Glück hatten wohl auch wir armen Provinzler, daß dieser wunderbare Film ein gutes halbes Jahr nach seiner Aufführung auf der Berlinale dann doch noch den Weg aufs Land fand und hier gezeigt werden darf. Allein sowas rechtfertigt schon mal den Umzug in eine richtig große Stadt. Aber egal, der Mensch freut sich, um so mehr, wenn er es mit solch einem Produkt zu tun hat, einem Milieufilm im allerbesten Sinne: Klar und direkt, einfach, sehr nahe dran, kein Zuviel an Sentimentalität, kein Zuviel an plattem Humor, keine liebenswert-verschrobenen Ossis, die hier ausgestellt werden, aber auch kein Versuch, mit krassen Bildern Aufsehen zu erregen. Vier ganz normale Leute zwischen Plattenbau, Odergrenze, Frittenbude und einigen polnischen Grenzhotels für die rasche Nummer in der Mittagspause. Viel Arbeit, wenig Zeit füreinander und miteinander, viel Gewöhnung im Laufe der Jahre, unerfüllte Sehnsüchte (vor allem auf weiblicher Seite natürlich), wachsende Bequemlichkeit (auf männlicher Seite, klar!) Langeweile, Mißverständnisse, Gereiztheit, Enttäuschungen. Ellen bricht aus, weil Uwe glaubt, alle Erfüllung liegt vermutlich in einer neuen Einbauküche, und sonst gäbe es nichts, was die eingefahrene Ehe wieder auf Trab bringen könnte. Chris bricht aus, weil er sowieso nicht an eine dauerhafte Beziehung glaubt und die neue Aufmerksamkeit auch seiner Eitelkeit schmeichelt. Hilflos und sprachlos trifft man sich zu viert, um eine Lösung des Dilemmas zu erarbeiten, doch kommt dabei natürlich nichts heraus, außer neuerlich Zwist und Frust. Dann wird viel getrunken, viel geheult, ein bißchen geflucht, es wird gelogen, herumgedruckst, und schließlich sind zumindest einige Freundschaften kaputt gegangen. All dies geschieht ohne großes Lamento, sondern überaus lebensnahe, realistisch und intensiv. Die vier Hauptdarsteller haben sich ihre Rollen spontan angeeignet, haben ihre Dialoge live vor Ort entwickelt, was der ganzen Sache nochmals eine ganz neue Dimension an Echtheit und Unmittelbarkeit gibt. Auch die gelegentlich eingeschnitten Interviews mit den Vieren wirken diesmal nicht gekünstelt, sondern dienen der zusätzlichen Verdeutlichung, weil halt auch im wirklichen Leben alles immer gleich ganz deutlich wird. Wichtig sind also vor allem die tollen Darsteller und dazu die ebenso beeindruckenden Milieuschilderungen der grausig tristen Einöde Frankfurts, das zu allem Überfluß auch noch in trübes, grau-matschiges Winterwetter getaucht wird und dadurch noch unwirtlicher und niederschmetternder ausschaut als ohnehin schon. Trotzdem ist dies kein Depressionsfilm, sondern, vielen britischen Vorbildern schon der Sechziger folgend, ein Milieudrama mit ebensoviel Humor wie Problembewußtsein, mit sehr viel Gefühl und Sympathie für die vier Hauptpersonen, und vor allem auch mit dem Selbstbewußtsein, daß man solche Filme seit ein paar Jahren auch wieder in Deutschland machen kann – Dresen selbst hat es ja mit „Die Polizistin“ und „Nachtgestalten“ eindrücklich demonstriert. In den Achtzigern, bis in die Mitte der Neunziger, waren sie weitestgehend abgemeldet, kommerziell einfach nicht attraktiv neben all den Yuppiekomödchen, von der Presse verteufelt als typisch deutsche, ernste, kopflastige Problemfilme. Nun sind sie wieder da, vielleicht besser denn je, endlich auch an den Kassen ein wenig prominenter und im Styling den neuesten Gepflogenheiten angeglichen – auch Dresen benutzt eine Videokamera, auch wenn diese Technik hier nicht selbstzweckhaft eingesetzt wird, sondern maßgeblich hilft, Nähe und Intimität zu erzeugen. Wer jetzt, auch nach all den wirklich beeindruckenden, künstlerisch wie inhaltlich hervorragenden Filmen der letzten Jahre noch immer behauptet, der deutsche Film sei international nicht wettbewerbsfähig, der hat einen Knick in der Optik, oder er hält tatsächlich die Einspielergebnisse der anonymen Hollywoodblockbuster für das Nonplusultra. Gottseidank existieren da noch ein paar andere Kriterien, und solange das so ist, wird es auch weiterhin Filme wie diesen geben. Allerschönstes, essentielles Kino aus dem Leben selbst. (8.10.)