„Abril despedacado“ (Hinter der Sonne) von Walter Salles. Brasilien/Frankreich, 2001. José Dumont, Rodrigo Santoro, Rita Assemany, Luis Carlos Vasconcelos

Irgendwo im heißen, staubigen, struppigen Niemandsland, wo nichts gedeiht außer Zuckerrohr, zelebrieren zwei Familien seit vielen Generationen eine besondere Form der Nachbarschaft: Im Streit um ein Stück Dornenwüste töten sie abwechselnd ihre Söhne, um dann im Gegenzug nach Ablauf einer gewissen, im Voraus sorgsam festgelegten Schonfrist, ihrerseits Blutrache zu üben. Das geht so lange, bis anno 1910 von der einen, der ärmeren Sippe nur noch drei Söhne mitsamt Elternschaft übriggeblieben sind. Der Älteste stirbt zu Beginn des Films durch Blutrache. Nun soll der Zweitälteste losgeschickt werden, um Vergeltung für den Tod des Bruders zu üben. Das erledigt er befehlsgemäß und steht nun seinerseits auf der Liste. Bis zum nächsten Vollmond reicht die Frist, bis sich das Blut auf dem Hemd des Erschossenen in der Sonne gelb gefärbt hat. Just in dieser Zeit, und angestachelt durch seinen kleinen Bruder (der zugleich als Moderator fungiert), unternimmt der junge Tonio einen Ausbruchsversuch, will er sich auflehnen gegen das sinnlose Tun. Entscheidend bestärkt wird er darin, als er eine schöne junge Artistin kennenlernt und sich in sie verliebt. Das unausweichliche Schicksal schlägt dennoch zu, nur wird statt seiner der Kleine getötet, und Tonio hat endlich die Möglichkeit, auf die Rache zu verzichten und seiner Geliebten nachzureisen ans Meer.

 

Eine schöne, in prachtvollen Bildern sehr dynamisch, vital und effektvoll vorgetragene Ballade mit klassisch archaischen Themen: Familienbande, Blutrache und die Macht der Liebe. Salles gelingt es sehr gut, die absurden, längst zum Ritual erstarrten Lebensgesetze dieser zwei Clans bloßzulegen, die im Namen des Herrn immer von Ehre und Ansehen und dem Namen der Vorfahren sprechen, in Wirklichkeit aber nichts anderes bedeuten und je bedeutet haben, als eine endlose Kette von Leid, Trauer, Wut, Angst, Haß und vor allem immer wieder blutiger Gewalt. Jede junge Generation wird automatisch in diesen Wahnsinn hineingesogen, und man wundert sich als Zuschauer fast schon, daß es überhaupt noch Leute gibt, die für Nachwuchs sorgen können, so gründlich und viel wird da getötet. Einzig eine neue Erfahrung, eine Idee von außen, irgendetwas, das den fatalen Kreislauf verändert, kann dieses groteske Treiben unterbinden, wie eben die junge Artistin, die Tonio endlich dazu bringt, die Zwangsläufigkeit des Geschehens anzuzweifeln, nicht mehr das Wort des Vaters als allein gültig hinzunehmen, sich einen eigenen Weg zu suchen. Hier, in der Auflehnung der Jungen gegen das Diktate der Patriarchen, findet der Film ein weiteres großes Thema, das sich nahtlos einfügt in den Rahmen der Erzählung, die ansonsten sehr spannend, zügig und ohne jegliche Durchhänger vorwärts schreitet, mal witzig begleitet von den Kommentaren des Jungen, mal wuchtig und dramatisch in all den wüsten Emotionen, die im Lauf der Zeit freigesetzt werden. Dabei bleibt Salles immer dezent genug, läßt das Melodram nicht die Oberhand gewinnen, hütet sich vor Kitsch oder groben Übertreibungen und achtet sehr darauf, daß die Menschen bei aller optischen Attraktivität im Vordergrund bleiben. Die Darsteller sind schön genug für ihre Rollen, die Landschaft mit all ihren Stimmungen spricht ein beredtes Wort mit und die Regie hat die Geschichte jederzeit souverän im Griff, gibt sich uneitel und schnörkellos, so daß ein wirklich eindrucksvoller Film aus einer sehr fernen Welt dabei herausgekommen ist. (17.4.)