„Hundstage“ von Ulrich Seidl. Österreich, 2001. Maria Hofstätter, Alfred Mrva, Erich Finsches, Gerti Lehner

Böse Filme, ich meine so richtig echt böse, gemeine, fiese, denunziatorische, polemische, beleidigende, also wirklich ganz ganz böse Filme über Österreich dürfen nur die Österreicher selbst machen. Und nur sie allein können das auch, denn kaum jemand sonst kann so schön häßlich, boshaft und ätzend sein wie diese äußerlich so friedlich und bieder daherkommenden Alpenseppls. Es ist klar - unter der gemütlichen Oberfläche gärt, schwelt, dampft es, und wehe uns, wenn all dies mal zu Tage tritt. Michael Haneke hat ab und zu mal was davon rausgelassen und uns arme Kinogänger wie geprügelte Hunde nach Haus entlassen, und dieser Herr Seidl hier ist kaum freundlicher, und so muß der nichtsahnende Teutone doch erst mal für einen kurzen Augenblick nach Luft schnappen, wenn er, befreit und ein wenig erleichtert, in die kühle ostwestfälische Nachtluft hinausstapft. Solche Filme, so haben wir ein für allemal kapiert, sind nichts für zarte Gemüter und auch nichts für jene, die noch an das sogenannte Gute im Menschen glauben wollen: Geschlagene zwei Stunden lang wird uns ein Panoptikum des Horrors vor Augen geführt. Eine Wiener Vorstadt im heißesten Sommer – die Sonne glüht, der Asphalt wellt sich, die Luft brennt zwischen öden Neubaufurchen, uniformen Konsumghettos menschenleeren Betonwüsten oder sterilen, kleinbürgerlichen Einfamilienendlosreihen. Zwei Stunden lang erleben wir eine ziemlich beachtliche Ansammlung von Demütigungen, Mißhandlungen, Vergewaltigungen, überhaupt Formen der Gewalt und daneben allerlei Ticks und Spleens, die das Leben halt so mit sich bringt. Manchmal Tragödien, manchmal eher Komödien, doch am Schluß herrscht die Depression, die Selbstverstümmelung, der Tod, und es zeigt sich eigentlich nur ein einziger, winziger Ansatz einer Versöhnung, was recht wenig ist für alle, die nach einem Hoffnungsschimmer Ausschau halten inmitten all der grausamen Tristesse. Das sprichwörtliche Lachen, welches einem alsbald im Halse steckenbleibt trifft hier jederzeit zu, aber meistens war mir gar nicht zum Lachen zumute, denn hinter all den grotesken, manchmal wohl auch überzeichneten Typen und Geschichten steckt sehr viel bittere Wahrheit. Die Brutalität der Männer, das Ausgeliefertsein der Frauen, ihre ständige Erniedrigung und Mißhandlung werden so massiv vorgetragen und ständig variiert, daß es schon weh tut, und zwar auch den robuster veranlagten Seelen im Publikum. Zwar gibt es auch ein paar ganz nette, einfach nur satirische, schrullige und sehr österreichische Episoden um Nachbarkleinkrieg, die Verunsicherung braver Autofahrer, oder die nervtötende Pedanterie einiger Konsumenten, doch viele davon enden dann doch noch irgendwie böse oder schlimm, und spätestens dann ist die Freude wie weggeblasen. Die Vorstadtgesellschaft ist träge, dumpf, vom Macho beherrscht, gefühlstaub, konsumgeil, sicherheitsfanatisch und jederzeit gewaltbereit. Der kleinste Anlaß kann genügen und das ganze kleinbürgerliche Kartenhaus bricht ein, hervorkommen Aggressionen, Vorurteile, sexuelle Gewalt und ganz allgemein Ignoranz. All dies wird mit beharrlichster Gründlichkeit, ganz ernst, cool und peinlich detailliert ins Bild gebracht, und zwar in der Gestaltung und den Darstellungen der vielen offenkundig wenig erfahrenen Schauspieler so exzellent und überzeugend, daß der Film trotz seiner niederschmetternden Ruppigkeit und Häßlichkeit, seines grimmigen Sarkasmus‘ und seiner insgesamt nicht eben sonnigen Welt- und Menschensicht einen nicht anödet und auch nicht abstößt, weil man sofort sieht, daß es hier nicht um spekulative Monstrositäten geht sondern um eine sehr ernsthafte, künstlerische anspruchsvolle Betrachtung dieser besonderen Menschen in ihrem besonderen Milieu. Alles, was der Regisseur sagen und zeigen wollte, ist ihm absolut gelungen, hat er klar artikuliert und perfekt umgesetzt, und wenn zwischendurch ein paar Gäste etwas angeschlagen den Saal verlassen, muß man deswegen auch nicht gleich traurig sein. Manche Filme tun halt etwas weh, aber gerade das macht sie aus. (30.9.)