„Je rentre à la maison“ (Ich geh‘ nach Hause) von Manoel de Oliveira. Frankreich/Portugal, 2000. Michel Piccoli, John Malkovich, Catherine Deneuve

Die beiden großen Namen hinter Michel Piccoli täuschen ein wenig, denn dieser Film ist allein auf den alten Herrn zugeschnitten, dem man hier endlich auch mal seine fünfundsiebzig Jahre ansieht. Er verkörpert wunderbar den alten Theaterschauspieler Gilbert, der nach einer Vorführung erfahren muß, daß seine gesamte Familie bis auf den Enkelsohn bei einem Autounfall ums Leben gekommen ist, und der sich danach sehr zurückzieht, um erst allmählich in den Alltag zurückzufinden. Er genießt sein Dasein als Opa, die gemütliche Ruhe in seinem Haus und lehnt gern Stücke oder Filme ab, wenn sie nicht seinen Neigungen entsprechen. Dann wird ihm schließlich die Rolle des Buck Mulligan in einer „Ulysses“-Verfilmung angeboten (einem fünfundsiebzigjährigen Mann!) und er sagt zu, doch mitten in einer Probe entschließt er sich, einfach nach Haus zu gehen.

 

Ein Alterswerk in der wahrsten Bedeutung des Wortes, aber trotz aller eingestandenen Langsamkeit der Affäre nicht halb so betulich und behäbig wie etwa Kurosawas „Madadayo“, sondern ein Film, der Ruhe und Langsamkeit zum Programm macht, zum Konzept, statt mit irgendwelchen wortgewaltigen Erklärungen zum Thema aufzuwarten. Es wird streckenweise sehr wenig gesprochen (am meisten in den zugegeben recht hingestreckt langen Theatersequenzen) und eigentlich viel mehr gezeigt, doch zeichnet sich das Gezeigte eben nicht durch wer weiß wieviel tiefe oder dramatische Bedeutung aus sondern durch das genaue Gegenteil. De Oliveira macht einen Film über das Alltägliche, das Nebensächliche, die Kleinigkeiten, die einen Großteil des Lebens ausmachen. Wir sehen Teilansichten der Stadt Paris, ein paar Straßen, ein Café, einige Geschäfte und Gilberts Haus, dort die Haushälterin und den Enkel. Das eigentliche Drama des Films hat sich bereits vorher zugetragen, wir haben es nicht gesehen, sondern erleben nur die recht unscheinbaren Folgen, nehmen teil an ein paar Tagen im Leben dieses alten Mannes. Wir nehmen auch teil an seiner Sicht der Dinge, an den Details, denen er seien Aufmerksamkeit schenkt: Dem allmorgendlichen Abschied zwischen dem Enkel und der Frau, dem Morgenlicht in der Zimmergardine, den leuchtenden Blättern im Garten, dem Kaffe an immer dem gleichen Tisch mit immer der gleichen Zeitung zu immer der gleichen Tageszeit undsoweiter. Wir werden Zeuge, wie Gilbert den Rest seiner tage zu bestreiten gedenkt, und wir verstehen deshalb auch, daß er sich schlußendlich der recht absurden Herausforderung des „Ulysses“ entziehen muß, ganz einfach, weil er tief im Innern nur noch seine Ruhe haben will. Ich gehe nach Hause, das bedeutet, ich ziehe mich zurück, ich ziehe mich raus aus diesem Geschäft, ich lebe nur noch so, wie ich es wirklich möchte, und alles was ich möchte ist meine Ruhe haben. Nach dem etwas langatmigen Auftakt im Theater entfaltet der recht kurze Film einen wunderschönen, meditativen Rhythmus, der auch nicht gestört wird, als ein Junkie den alten Herrn ausraubt oder dergleichen. De Oliveira hat eine offensichtlich klare Vorstellung von dem, was er zeigen will und wie er es zeigen will und er verfolgt sein Konzept gelassen und konsequent. Wer hektisches, modernes, aufregendes, aufpeitschendes Kino haben will, soll woanders bezahlen, hier gibt es ganz reizend altmodisch, unaufgeregtes, tiefgründiges Kino, im dem man sich auf ein anderes Zeitgefühl einlassen muß, die Bilder wirken lassen muß und es auch ertragen muß, wenn mal anderthalb Stunden lang nichts explodiert und nicht mindestens die zivilisierte Welt gerettet wird. Darin ist der Film auch ein Stück ganz selbstbewußtes klassisches europäisches Kino, und außerdem ist er auch einfach schön. (29.4.)