„In the bedroom“ (#) von Todd Field. USA, 2001. Sissy Spacek, Tom Wilkinson, Nick Stahl, Marisa Tomei, William Mapother, William Wise

Damit kennen sich die Amerikaner aus: Eine Tragödie bricht unvermittelt ein in die ländliche Familien- und Kleinstadtidylle und hinterher ist niemand mehr, der er vorher war. In der Großstadt würde so eine Geschichte gar nicht wirken, denn die echte reine unangetastete Unschuld findet man, so jedenfalls die landessweiten Mythen, nur noch in kleinen Gemeinden zwischen Holzhäusern, sich herbstlich färbenden Wäldern, friedlichem Barbecue am Samstagnmachmittag und den unausweichlichen Baseballspielen, harmonischem Miteinander der Nachbarn, und erst hier wird der Verlust, die Zerstörung dieser Reinheit richtig schmerzhaft.

So auch hier: Das Leben von Matt und Ruth wird aus der Bahn geworfen, als ihr einziger Sohn erschossen wird von dem aggressiven, eifersüchtigen Ex-Mann seiner aktuellen Freundin. Und als es dann auch noch so aussieht, als käme der Mann vor Gericht mit einer Verurteilung wegen Totschlags mit relativ geringer Strafe davon, sind die verzweifelten Eltern völlig am Ende. Sie flüchten sich in Einsamkeit, treffen ein paar Freunde, oder üben sich in bitteren gegenseitigen Vorwürfen. Eines Nachts geht Matt schließlich daher, erschießt den Täter und verbuddelt die Leiche zusammen mit einem Freund im Wald. Als er nach Hause kommt, fragt ihn Ruth: „Na, hast du’s endlich getan?“

 

Über diesen letzten Satz muß man dann doch noch etwas länger nachdenken, zumindest läßt er einige der vorausgegangenen Szenen in einem anderen Licht erscheinen: War es am Ende Ruth, sonst zumeist in Tränen aufgelöst und am Rande eines Zusammenbruchs, die ihren Mann mit echt weiblicher Finesse soweit manipuliert hat, bis der Rachemord unumgänglich schien? Immerhin haben wir es hier nicht mit einem spontanen Racheakt zu tun, sondern mit einer länger und sorgsam geplanten Tat. Trotzdem ist Matt offenkundig nicht erleichtert am Ende, vielleicht weil er erkannt hat, daß er benutzt worden ist, vielleicht weil der zweite Mord nichts ungeschehen macht, keine Wunden heilt, auch nicht die Leere und Starre nimmt, in der die Eheleute weitgehend gefangen sind. Es ist eher Ruth, die zufrieden sein dürfte, denn sie ist es auch vor allem, die in ohnmächtiger Wut aufbegehrt gegen die für ihr Gefühl viel zu milde Strafe, die der Mörder zu erwarten hat, sie ist es, die innerlich nicht zur Ruhe kommt, sich nicht einfach der Trauer hingeben kann, so wie er, sie ist es, die den Reigen der Anklagen, der Vorwürfe, der Anschuldigungen eröffnet, die den Tod ihres Sohnes einfach nicht verarbeiten kann. Der Film beobachtet sie zugleich aufmerksam und diskret, wie man überhaupt sagen muß, daß die extreme Langsamkeit, mit der die Geschichte vorgetragen wird, trügerisch ist. Todd Field läßt sich sehr viel Zeit, um Handlungsorte, Stimmungen und vor allem Zwischenmenschliches auszuloten, und er tut dies mit viel Gefühl für emotionale Abgründe, die zumindest potentiell unter jeder Oberfläche verborgen sein können. Für uns zum Beispiel kommt Matts Tat am Ende eher überraschend, denn von ihm hatten wir den Eindruck, er habe sich besser im Griff, konzentriere sich eher auf die eigentlichen Gefühle, auf seine Trauer als auf die Frage, wer für den Tod ihres Sohnes verantwortlich gemacht werden kann. Er ist äußerlich beherrscht, wenn auch erschüttert, und auch bei dem Mord zeigt er wenig Regung – er ist durch den Verlust versteinert, hat sich zurückgezogen innerlich, ist aber eigentlich für uns berechenbarer als Ruth, deren heftige Ausbrüche immer wieder andeuten, daß sie sich mit dem Gang der Dinge nicht zufrieden geben wird. So was wirkt nur, wenn man gute Schauspieler dazu hat, und die gibt es hier reichlich, die bekannteren ebenso wie die nicht so bekannten, und zusammen mit dem konsequent durchgehaltenen, kontemplativen Tempo bilden sie die Hauptstärken des Films, der um einige genereübliche Stereotypen nicht herumkommt (siehe Kleinstadtidyll), der uns aber dennoch tief hineinzieht in die Geschichte, in die Situation der Menschen, in ihre Gefühle und ihre Konflikte. Vor allem Sissy Spacek und Tom Wilkinson sind fabelhaft zusammen und liefern in besten Sinne des Wortes tiefgründige Porträts ab, zwei scheinbar gefestigte Persönlichkeiten, die völlig aus der Bahn geworfen werden und nun jeder für sich Möglichkeiten finden müssen, mit dem Unglück fertig zu werden. Was mich an dem Film in nachträglicher Betrachtung etwas gestört hat, ist die unentschiedene, wenig präzisierte Haltung zur Selbstjustiz, aber davon abgesehen ist dies auf alle Fälle ein herausragender Hollywoodfilm, intensiv gestaltet, eindrucksvoll gespielt und sehr vielschichtig in der Darstellung. (8.5.)