„Små ulykker“ (Kleine Mißgeschicke) von Annette K. Olesen. Dänemark, 2002. Jørgen Kill, Maria Würgler Rich, Henrik Prip, Jannie Faurschou, Jesper Christensen, Petrine Agger, Tina Gylling Mortensen, Julie Wieth
Eine Familiengeschichte aus Kopenhagen: Als Mama eines Tages vom Laster überrollt wird, brechen die Dämme. Paps, selbst schwer herzkrank und dennoch unermüdlich im Krankenhauseinsatz, gerät in eine Krise, als er spürt, wie einsam er plötzlich ist. Deswegen klammern er und seine jüngste Tochter, die schüchterne, reichlich unbeholfene und etwas neurotische Marianne, sich eng aneinander. Der Sohn Tom, äußerlich ein cooles Großmaul, rackert wie irre in seiner Firma und kriegt schließlich echten Krach mit seiner Gattin, die ihn endlich mehr für die Familie eingespannt haben möchte. Die Älteste, Eva, eine Gelegenheitsmalerin mit spärlichen Perspektiven, beäugt das Verhältnis von Paps und Marianne mißtrauisch und bringt schließlich Mißbrauchsgerüchte in Umlauf, was erstens Empörung und zweitens eine Herzattacke des Herrn Papa auslöst. Und nebenbei gibt’s da noch Onkel Søren vom Lande, einen frisch wegen Arthrose pensionierten Handwerker, der sich eine Ehekrise leistet und für einige Tage beim Bruder in der Stadt aufkreuzt. Wie der gute Tom schon ganz richtig sagt: Mannomann, was für eine Familie.
Die Skandinavier, vor allem wohl aber die Dänen, können das einfach, diese Alltagsgeschichten, die einen süchtig machen, denen man endlos zugucken könnte, die fein ausbalancierte (und ist wirklich alles andere als einfach zu erzeugende) Mischung aus Komödiantischem und Tragischem, die großartig beherrschte Kunst, uns in einem Moment vor Lachen durchzuschütteln und uns im unmittelbar darauf folgenden Moment in tiefes Schweigen zu versetzen. Darin liegt nicht mal so sehr der Versuch, das Leben zu imitieren, denn ganz so dicht liegen Lachen und Weinen zum Glück nicht immer beisammen, als vielmehr die Verdeutlichung der sehr wichtigen Erkenntnis, daß alle Dinge ernst oder heiter sein können, je nachdem, wer sie betrachtet. In diesem Film fungiert die etwas schräge Eva als Korrektiv einer allzu einseitigen Wahrnehmung und Einschätzung: Das Hin und Her mit dem Sarg wegen eines erst nicht und dann doch plötzlich vorfahrenden Leichenwagens wird von allen mit schwitzender, bitterer Miene quittiert, allein Eva kichert vor sich hin, kann die makabere Absurdität der Situation genießen. Auch wenn sie vielleicht falsch liegt, weist sie uns doch darauf hin, daß die allzu enge Beziehung zwischen Vater und Marianne etwas Ungesundes an sich haben könnte, und in einem gewissen Grad hat sie nicht einmal Unrecht, denn es dauert sehr lange, bis sich Marianne endlich ein wenig freistrampeln und eigene Wege betreten kann. Natürlich steckt sie selbst auch voller Neurosen und Ticks, doch sorgt ihre unkonventionelle, direkte Art häufig für frischen Wind und Diskussionsstoff, obwohl auch sonst die Dinge im Fluß bleiben, sich ständig bewegen. Der Film ist perfekt getimt, er verwebt die Einzelgeschichten ohne Anstrengung miteinander, zeigt den ganz normalen Zusammenhalt einer Familie ebenso wie die potentiellen Konflikte, die immer wieder auftreten, allein schon resultierend aus den stark unterschiedlichen Charakteren und Temperamenten. Man hält sich aneinander fest, sucht Rat, Schutz, Geborgenheit, entfremdet sich andererseits, giftet sich an, beneidet sich, mißversteht sich. Papa John nervt uns manchmal, wenn er auch in dramatischsten Krisenmomenten sein breites, fast philosophisches, kindlich-unschuldiges Lächeln aufsetzt, hinter dem sich aber alles Mögliche verbergen kann, doch er beeindruckt zugleich als ein liebevoller, warmherziger, großzügiger Mensch, zu dem sich seine Kinder doch sehr stark hinziehen. Marianne wiederum nervt uns manchmal mit ihrer Verstocktheit und Unzugänglichkeit, dann wieder rührt sie uns zutiefst, und so geht es uns mit allen Beteiligten hier. Es gibt keine Verurteilungen, keine Bevorzugung, wir haben die Menschen so hinzunehmen, wie sie sind, und bei der liebevollen Betrachtung durch die äußerst feinfühlige Regie und den fantastisch spielenden Darstellern ist das kein Problem. Hier sind offenbar Leute mit viel Liebe zum Projekt am Werk, Leute, die sich wirklich engagiert haben, die ihr Herzblut gegeben haben, und wir Zuschauer werden beschenkt mit einem zeitlos schönen, leichten und dennoch vielschichtigen, zärtlichen, ernsten und auch komischen und in jeder Szene äußerst intensiven und eindrucksvollen Film, einem weiteren wunderbaren Film aus dem wunderbaren Filmland Dänemark. (23.10.)