„Last orders“ (Die letzte Runde) von Fred Schepisi. England, 2002. Michael Caine, Tom Courtenay, David Hemmings, Bob Hoskins, Helen Mirren, Ray Winstone
Es gibt sie also doch noch, die guten alten Schauspielerfilme, solche Filme, bei denen man sich mit Muße und Vorfreude zurechtsetzt und einfach mal ein paar großen Schauspielern bei der Arbeit zusieht. Und wenn es wirklich große Schauspieler sind – so wie die hier – dann können die auch die Magna Charta nachsprechen und es wäre doch immer ein Genuß.
Dieser Film ist so ein Genuß, ein wunderschöner, mich persönlich ungemein berührender Film sehr traditioneller, oder auch altmodischer Machart, das heißt ein Film, der die darin vorkommenden Menschen ganz in den Mittelpunkt stellt und nichts sonst. Nur ein paar Männer und Frauen und das, sie in fünfzig Jahren gemeinsam erleben, was sie aneinander bindet, was sie auch mal einander entfremdet, was sie füreinander empfinden und wie sie schließlich damit umgehen, wenn der erste von ihnen sterben muß. So wie Jack, der Schlachtermeister, der nun als erster geht, und der seine Frau, seinen adoptierten Sohn, seine verleugnete, geisteskranke Tochter und drei langjährige Freunde zurückläßt und an sie alle den einen Wunsch hat, nämlich in Form von Asche vom Pier in Margate in die See gestreut zu werden. Da seine Frau wie jeden Donnerstag die Tochter im Heim besucht und auch diesmal keine Ausnahme machen möchte, fahren die vier Männer allein, und natürlich wird diese Fahrt zur Küste eine Fahrt der Erinnerungen, der Auseinandersetzung mit Vergangenem, Angenehmem und auch Unbequemem, dem man sich auf die eine oder andere Weise stellen muß. So wird das Gegenwärtige stets unterbrochen von Geschichten aus dem Krieg, aus dem England der Vorkriegszeit, der Zeit des Kennenlernens und Verliebens, oder auch späterer Jahre, Jahre des Ehebruchs, der Familienkrisen, der Generationskonflikte, und schlußendlich sitzen einige ältere Herrschaft zu zweit auf einer Bank an der Themse, oder in der Kathedrale von Canterbury, oder stehen auf einem ehemaligen Hopfenfeld in Kent und erinnern sich, ziehen Bilanz, in Trauer oder mit Vergnügen und schaffen es endlich, milde zu sein, gerecht zu sein und manche Dinge in einem anderen Licht zu sehen. Graham Swift, der den Roman „Last orders“ vor wenigen Jahren geschrieben hat, ist ein hervorragender Spezialist für solche Sachen (und überhaupt ein hervorragender Schriftsteller), immerhin hat er ja auch schon das wunderbare „Wasserland“ verfaßt, das vor Jahren mit Jeremy Irons verfilmt wurde, wenn auch vielleicht nicht ganz so kongenial, wie in diesem Falle hier.
Kongenial ist der Film vor allem deshalb, weil er nichts beweisen muß, sich nicht aufplustern muß, niemanden unnötig rühren möchte, nichts sein möchte, was er nicht sein kann. Es ist dies nichts weiter als ein Film über Männerfreundschaft, über Liebe, Zusammenhalten, Trauer, allerlei unbewältigte und niemals ausgesprochene Gefühle, vor allem aber eben ein Film über Freundschaft und die vielen Jahre und was daraus wird. Mal ist er zart, komisch und liebevoll, dann wieder sehr traurig, nachdenklich und still, immer ist man den Menschen hier sehr nahe, fühlt sich sofort in ihre Gespräche und Situationen ein, möchte dabei sein, zusehen, wie sie vielleicht endlich all das herauslassen, was wohl schon seit langem herausgemußt hätte. Es ist der Film eines routinierten Regisseurs, der nach seinem großartigen Debut daheim in Australien zwischen England und Hollywood pendelte und dort durchaus ein paar akzeptable Filme machte, aber eigentlich nie das eingehalten hat, was sein erster Film, „Die Ballade von Jimmy Blacksmith“ einst versprach. Aber eben einer, der eine gute Story als solche erkennt, der mit Schauspielern umgehen und sich zurückhalten kann, um ihnen den Vortritt zu lassen. Und was sind das hier für Schauspieler: Geniale Könner wie Caine, Hoskins oder Helen Mirren, die man immerhin und zum Glück noch regelmäßig auf der Leinwand bewundern darf, aber dann auch Typen wie Hemmings oder Tom Courtenay, um keinen Deut schlechtere Darsteller natürlich, die ich seit Ewigkeiten nicht mehr in einem aktuellen Kinofilm gesehen habe, Leute, deren Mitwirkung mich einfach glücklich macht, ein wunderbar funktionierendes Ensemble, in dem sich niemand als Star profilieren muß. Wenn man Hemmings ins Gesicht schaut, denkt man noch immer an „Blow-up“, bei Courtenay hat man sofort den einsamen, trotzigen Langstreckenläufer vor Augen, sodaß der Film schon von daher eine ganz eigene, herrlich nostalgische Reise in die filmische Historie darstellt. Heute sind das selbst alte Männer, nicht mehr so tough und drahtig wie vor vierzig Jahren, nicht mehr so kultig und cool wie in den Swinging Sixties, aber noch immer ganz tolle Kerle, die so einen Film mit Bravour gestalten und allein mit ihren Gesichtern ganze Geschichten erzählen können. Ich habe ihnen dabei fasziniert zugesehen und war nach diesem sehr schönen Kinoabend sehr froh darüber, daß es solche Filme noch geben darf, sogar im Kino selbst und nicht nur im TV-Kulturprogramm um Mitternacht. (15.12.)