„Lucía y el sexo“ (Lucía und der Sex) von Julio Medem. Spanien, 2001. Paz Vega, Tristán Ulloa, Najwa Nimri, Daniel Freire, Elena Anaya
Zu Beginn hält der Film sehr genau, was er im Titel verheißt: Es geht um Lucía, die vermutlich ihren Freund durch einen selbstmordartigen Unfall verliert und sich auf eine Insel zurückzieht, um dort wieder zu sich selbnst zu kommen. Und es geht um Sex, wie ihn Lucía in der ersten Zeit mit Lorenzo erlebt, genußreichen, heißen Sex, eine Befreiung für Kopf und Körper gleichermaßen. So weit., so gut. Wenn es nach mit gegangen wäre, hätte es Señor Medem dabei schon bewenden lassen können, denn eine Geschichte um Selbstfindung, Verlust, eine konfliktreiche Beziehung und Sex gibt weiß Gott genug Stoff für einen aufregenden, tiefgehenden, spannenden Film her. Aber leider hatte Medem mehr im Sinn – viel mehr sogar, und so ist daraus ein überlanges, zwischendurch reichlich unübersichtliches und schlußendlich hoffnungslos überfrachtetes Melodrama geworden, das so gut wie alle schönen Möglichkeiten vom Anfang verschenkt, einfach zu hoch hinaus will und dabei nur auf den Bauch fällt. Plötzlich geht es um einen Mann und zwei Frauen, um ein in einer heißen Mondnacht gezeugtes Kind, um Lorenzos zunehmende Verstrickung in seinen eigenen Roman, um seine Unfähigkeit, Fiktion und Realität zu trennen, um den grotesken Tod des besagten Kindes, das natürlich Lorenzos Kind ist, und um allerhand weitere Komplikationen, die sich allesamt dann auf Formentera aufzulösen scheinen, wo sich die Protagonisten versammeln und endlich alle Rätsel und Identitäten aufklären können. Medems Liebe zu großen Gefühlen geht so weit, daß sie gegen Ende nicht nur Langeweile, sondern fast schon Komik erzeugt, so dick wird aufgetragen, so viele Dramen häufen sich auf, so abenteuerlich und weit hergeholt erscheinen die Verknüpfungen der einzelnen Figuren. Alles ist äußerst künstlich, konstruiert, manipuliert, nichts hier hat die Chance, sich frei zu entwickeln, alles ist vorherbestimmt und –gedacht. Sicherlich hat der Film seine Stärken – die vorzüglichen Schauspieler zuerst, die vielen Szenen zumindest einen Rest von Glaubwürdigkeit geben, die Intimität der erotischen Szenen, in denen Medem zeigt, wie kraftvoll, mutig und konsequent er inszenieren kann. Aber vieles drumherum ist einfach zu aufgeblasen, zu pathetisch. Lorenzos schöpferische Krisen ebenso wie die ganze Episode mit der jungen Babysitterin und ihrer Mutter, einer Pornodarstellerin, deren Videos von ihrer eigenen Tochter als Wichsvorlage benutzt werden. Es tut mir richtig leid um die süße Lucía, die eine so schöne Hauptfigur hätte werden können, sehr häufig aber ganz aus unserem Blickfeld gerät, weil Medem immer mit irgendetwas anderem des Weges kommt. Das zunehmend doch etwas ratlose Publikum vermißt aber Lucía, weil sich in ihr viel Echtheit und Leben wiederfindet, mehr Natürlichkeit jedenfalls als in allen anderen Personen hier, und darum kann man auch abschließend nur feststellen, daß es sehr schade um diesen Film ist, der potentiell viel besser hätte sein können, der aber letztlich deswegen mißlang, weil der Regisseur zu viele Stories in eine einzige packen wollte. Und das können wirklich nur ganz wenige so, daß dabei noch ein überzeugendes Ganzes herauskommt. (16.10.)