„Monster’s Ball“ (#) von Marc Forster. USA, 2001. Billy Bob Thornton, Halle Berry, Peter Boyle, Heath Ledger, Sean Combs
Allein die erste halbe Stunde dieses Films konzentriert soviel Schicksal und Trauer, soviel Verzweiflung und Verlust, daß es auch hartgesottenen Kinomenschen schwer fällt, nicht den Blick abzuwenden und sich auf der Stelle an einen anderen Ort zu wünschen. Zu sehr lastet das vernichtende Geschehen auf uns, zu intensiv und quälend werden die Szenen ausgespielt, es ist ganz einfach zu viel Leid auf einem Haufen: Ein Mann wird hingerichtet, sein Sohn stirbt durch einen Unfall und die Frau verliert das Haus, weil sie es nicht mehr bezahlen kann. Ein anderer Mann, einer von denen, die den zum Tode Verurteilten zum elektrischen Stuhl eskortierten, verliert auch seinen Sohn, der sich vor seinen Augen erschießt. Er lernt die Frau des Exekutierten kennen und die beiden verlieben sich. Wie diese Geschichte, die sowieso von Beginn an großen Hindernissen ausgesetzt ist, ausgehen wird, steht am Ende buchstäblich in den Sternen.
Bis zum Schluß harrte ich in banger Erwartung irgendeines miesen Hollywoodtricks, irgendeines Schlenkers hinüber ins Banale, der dann doch noch ein geordnetes, beruhigendes Happy End möglich machen würde. Es geschieht aber nichts dergleichen, der Film bleibt konsequent, bleibt bei seinem bedächtigen, fast zeitlupenhaften Rhythmus, seiner schweren, dunklen Melancholie, seiner Ernsthaftigkeit und seiner Intensität. Zwar bin ich durchaus der Meinung, daß es zu Beginn ein wenig sehr deprimierend zugeht, daß sich einfach zuviele Todesfälle anhäufen, zuviel massiv frustrierendes Schicksal, aber immerhin gelingt es dem Regisseur fast wie durch ein Wunder, daß er nichts davon verrät oder banalisiert, sondern seinen verbliebenen Personen ihre Würde läßt, seinen eigenen Anspruch nicht aufgibt und somit einen wirklich außergewöhnlichen, starken Film aus den USA fabriziert hat. Das Zusammenspiel von Thornton und Berry ist großartig und bewegend, die Mischung aus reichlich unterdrückten Emotionen und gelegentlich wild herausbrechenden Extremen sehr überzeugend und auch recht mutig, zumal auch in den erotischen Momenten klar bleibt, daß die Gefühle der beiden füreinander keineswegs sicher oder tiefgründig sein müssen, sondern daß es sich durchaus auch um eine Zweckgemeinschaft handeln könnte, ein Aneinanderklammern zweier einsamer, sehnsüchtiger Leute, die den Boden unter den Füßen verloren haben und nun ein Zeichen dafür brauchen, daß sie noch da sind, daß sie noch etwas empfinden können. Zwischen ihnen steht sehr viel: Die Rassengrenze, die zumal unten in Georgia noch immer Gewicht hat und die beiden trennt – sie ist farbig, er ist weiß. Sein Vater, ein Redneck alter Schule artikuliert in pointierter Weise die ganze Verachtung der Weißen für die Nigger, so wie es immer war und vielfach auch heute noch so ist, und so wie auch sie es noch häufig zu spüren bekommt. Zwischen ihnen steht auch die Vergangenheit – er hat mitgeholfen, ihren Mann zu töten, und sie erfährt davon. Wie sie am Ende mit sich kämpft, ihre widerstreitenden Gefühle in den Griff zu bekommen versucht, wie sie darum kämpft, an eine gemeinsame Zukunft mit ihm zu glauben, das gehört sicherlich zu den beeindruckendsten Szenen des ganzen Films, um so mehr, als nichts mehr gesagt werden muß, weil alles gespielt wird. Er bleibt uns irgendwie fremder, zunächst ein hartherziger, brutaler Typ, der seinen Sohn haßt, zur gleichen Nutte geht wie der, bei Nachbarn den Rassisten raushängt und doch unter seinem ekelhaften Vater zu leiden scheint. Erst der Frau gegenüber zeigt er sich von einer anderen Seite, hilfsbereit, weich, verletzlich und auch auf sie angewiesen. Als Paps sie mit seinen Sprüchen zu vertreiben droht, steckt er ihn kurzerhand in ein Altersheim, für mich die einzige Episode im ganzen Film, die irgendwie nicht stimmig ist, die nicht zu den Personen zu passen scheint. Ansonsten macht er sich unverdrossen und eifrig daran, für sich und die Frau ein neues Zuhause, eine neue Existenzen zu errichten, was bekanntlich im Land der unbegrenzten Möglichkeiten ohne weiteres geht. Die alten Erinnerungen werden einfach weggesperrt in einen abgeschlossenen Raum, und wenn noch ein paar mehr dazu kommen, findet sich halt noch mehr Platz – Vergangenheitsbewältigung nach Männerart.
Für mich beeindruckt der Film vor allem durch seine sehr dichte, starke Atmosphäre, auch durch die Art und Weise, wie die Schauplätze ganz echt und ohne Klischees eingebunden werden in die Erzählung, und wie bei allem Drama zu keiner Zeit falsche Sentimentalität oder Pathos aufkommen. Gerade Südstaatengeschichten neigen sonst zu derartigen Extremen, häufen gern Stereotypen und Übertreibungen, bedienen gern althergebrachte Denkmuster und Schubladen. Davon setzt sich dieser Film entschieden ab und dafür allein gebührt ihm höchster Respekt. (18.9.)