„Mulholland Drive“ (#) von David Lynch. USA/Frankreich, 2001. Laura Elena Harring, Noami Watts, Justin Theroux, Ann Miller, Mark Pellegrino, Robert Forster

Nach dem fast schon beängstigend geradlinigen und deshalb auch schön selbstironisch betitelten „Straight Story“ hat David Lynch nun wieder die überschaubare Tageswelt, in der alles erklärt werden kann und ineinander greift, verlassen und sich zurückgezogen auf bekanntes und bereits hinreichend beackertes Terrain: Die Nachtwelt, dunkel, samten glitzernd, bedrohlich schillernd, düster, gewalttätig, mystisch und unerklärlich, voller Schreckgespenster und Alptraumgestalten und vor allem voller Ereignisse, für die es keine Erklärung und auch keine logische Verbindung gibt. Es ist dies zweifellos diejenige Welt, in der sich Lynch viel eher zu Hause fühlt und in der sowohl seine besten und faszinierendsten als auch seine monströsesten und mißlungensten Filme angesiedelt sind.

 

Anfänglich scheint alles noch recht übersichtlich zu sein: Eine mondäne Frau erleidet in den Hügeln oberhalb von L.A. einen Autounfall mit nachfolgender Amnesie und versteckt sich in irgendeinem Haus. Dorthin, in das Anwesen ihrer Tante nämlich, kommt eine junge, unbefleckte Frau aus Kanada, Betty mit Namen, die es in Hollywood zu Ruhm und Geld bringen will. Betty und die mysteriöse Dunkelhaarige, die sich dann Rita nennen wird, machen sich gemeinsam auf Spurensuche, wollen die Vorgeschichte des rätselhaften Unfalls rekonstruieren. Wie nicht anders zu erwarten, wird dies eine Reise in den Abgrund, in einen Abgrund aus Gewalt, Eifersucht, Sex und vertauschten Identitäten. Es taucht eine weitere blonde Frau auf, eine lesbische Freundin Ritas, es taucht ein Filmregisseur auf und es tauchen reichlich bedrohliche, kriminelle Herren auf, die den Damen und sich gegenseitig ans Leben wollen. Den Film inhaltlich komplett nachzuerzählen wäre eh widersinnig, denn natürlich geht es Lynch zu allerletzt um eine schlüssig durchkonstruierte, bis ins letzte Detail ausgeleuchtete Story. Ihn faszinieren die dunklen Geheimnisse, die verschwimmenden Linien, die Menschen im Halbschatten, er ist ein großer Meister schwebender, gleitender, hypnotisch suggestiver Atmosphäre (genau wie sein kongenialer Hauskomponist Badalamenti), bedeutungsschwangerer Mysterien, endloser Spielereien mit menschlicher Identität. Schön langsam und unaufhaltsam wird dem Zuschauer der letzte Teppich unter den Füßen weggezogen und er schwebt und taumelt im leeren Raum, zugleich weich und neblig, aber auch voller Angst und Schrecken. Lynch dreht zwei Schraubgewinde ineinander, läßt Situationen noch einmal mit anderem Personal wiederholen, fügt hier und da eine kurze, scheinbar ergänzende oder erklärende Episode hinzu, um dann im nächsten Moment alles wieder zurückzunehmen und ins Ungewisse aufzulösen, läßt die eine Blondine jäh aus dem Film kippen und etabliert an ihrer Stelle eine andere. Niemand frage bitte nach dem Sinn des Ganzen – der liegt wahrscheinlich gerade darin, daß es keinen Sinn geben soll, keine rettenden Ufer, an denen sich der arme, desorientierte und zutiefst verstörte Kinogänger festklammern kann, keine roten Fäden, die ihn durch das Gestrüpp der Handlung leiten. Wie schon „Memento“ funktioniert auch Lynchs neuer Film so, daß er die Defekte der Protagonisten unmittelbar auf den Konsumenten überträgt – Rita hat überhaupt keinen Überblick über ihr Leben, ihre Person, die ganze Situation im allgemeinen, und genau so ergeht es auch uns, wir fühlen uns ähnlich hilflos und bedroht, sehnen uns nach einer einzigen sicheren Gewißheit. In seiner Art – wenn man sie denn mag – ist der Film absolut brillant realisiert, stilistisch und künstlerisch souverän, perfekt umgesetzt und gespielt, teuflisch in seiner Ironie und dem makabren Spaß an ominösen, bis zuletzt unerfüllten Andeutungen und Spekulationen. Mir hätte der Film sicherlich noch besser gefallen, wenn mich die Story stärker angesprochen hätte, so aber kann ich dennoch Lynchs großartige Könnerschaft genießen und mal wieder feststellen, daß er in seiner Kategorie sicherlich unangefochten ist. (9.1.)