„Fuori dal mondo“ (Nicht von dieser Welt) von Giuseppe Piccioni. Italien, 1999. Margherita Buy, Silvio Orlando, Carolina Freschi, Maria Christina Massironi
Die Ordensschwester und angehende Nonne Caterina bekommt eines Tages von einem fremden Mann in einem Park ein neugeborenes Baby in die Hand gedrückt - eingewickelt in einen Pullover und offenbar von seiner Mutter ausgesetzt. Sie bringt den Säugling ins Hospital und wäre damit von der Verantwortung entbunden, doch forscht sie weiter nach der Mutter und entwickelt selbst mütterliche Gefühle. Über ein Reinigungsetikett in dem Pullover gerät sie an Ernesto, dem besagte Reinigung und zufällig sogar der Pullover gehören. Ernesto ist ein gestreßter, nach außen harter Geschäftsmann mit Bluthochdruck, einem gefährdeten Herzen und reichlich großstädtischer Einsamkeit. Ernesto will zunächst nichts mit der Sache zu tun haben, doch eine beginnende Zuneigung zu Caterina und die Erkenntnis, daß er selbst der Vater sein könnte – mögliches Resultat eines kurzen Techtelmechtels mit der jungen Dame, der er einst den Pullover geliehen hatte – wecken sein Engagement. Die Mutter des Kindes, die zwanzigjährige Teresa, die ohne feste Bindung, ohne intakte Familie, ohne festen Wohnsitz und nur mit Gelegenheitsjobs notdürftig abgesichert ihr Leben in der großen Stadt – nämlich Mailand – fristet, wird schließlich gefunden und von Caterina mit den Tatsachen konfrontiert. Sie weist die Vorwürfe zurück, schildert Caterina in groben Zügen ihre eigene Situation (verschweigt sogar, daß das Kind von ihrem Stiefvater ist) und erklärt abschließend auch, daß Ernesto nicht als Vater in Frage kommt. Für das Baby haben sich mittlerweile Adoptiveltern gefunden und Caterina kann sich nur schwer damit abfinden. Das muß sie aber, genau wie Ernesto sich damit abfinden muß, daß Caterina nicht zu ihm, sondern zurück ins Kloster gehen wird und er schließlich genau so allein dastehen wird wie immer.
Ein sehr schöner, großartig intensiver und ganz und gar europäischer Film aus der Stadt Mailand, der das Leben dreier Menschen miteinander verknüpft und am Schluß wieder auseinander laufen läßt, der, was italienischen Filmen weiß Gott nicht immer gelingt, eine perfekte Balance zwischen warmherzigem Gefühl, zärtlichem Humor und menschlichem Drama hält, und nur gelegentlich etwas aus dem Ruder läuft, sich ein paar Mätzchen leistet, wie etwa die merkwürdigen Standbilder des jeweils beteiligten Arbeitskollegiums, in der Eisdiele, der Reinigung, der Polizei oder wo auch immer, oder für meinen Geschmack Teresas Geschick etwas zu ausführlich verfolgt, denn die wahre Atmosphäre, das echte Gefühl kommt eigentlich dann auf, wenn Ernesto und Caterina auf der Bildfläche erscheinen. An ihnen sind wir hauptsächlich interessiert, an ihrer vorsichtigen Annäherung und daran, wie jeder für sich dazu gezwungen wird, sein/ihr bisheriges und zukünftiges Leben zu hinterfragen. Caterina muß sich in der Tat fragen, ob das entsagungsreiche, asketische Klosterleben wirklich ihr Leben sein kann, oder ob sie sich nicht doch danach sehnt, eine Mutter und Geliebte zu sein. Ernesto erkennt, daß er die letzten Jahre, die er ausschließlich dem wenig ertragreichen und übermäßig mühevollen Geschäft geopfert hat, womöglich verschwendete Jahre waren, denn er sieht sich isoliert, unbeliebt, am Rande eines Infarktes, ihm fehlt die menschliche Nähe, jemand, den er von unterwegs anrufen kann, jemand, der auf ihn wartet. Diese beiden kommen aufeinander zu von zwei denkbar gegensätzlichen Polen, und Giuseppe Piccioni hat die Stadt als Handlungsort in diesem Falle besonders wirkungsvoll eingefangen, denn je nachdem ist sie ein Ort des Rückzugs, der inneren Einkehr, oder des brausenden, lautstarken Lebens oder aber der tiefen Einsamkeit des Einzelnen. Caterinas karitative Tätigkeit, ihr Umgang mit Armen, Obdach- und Mittellosen deutet ebenso daraufhin wie Ernestos einsame, halb durchwachte Nächte oder jene Szene, in denen er mit starken Beklemmungen, Todesängsten und Atemnot mitten auf dem Bürgersteig herumtorkelt und alle Passanten an ihm vorüberhasten. Teresas Geschichte paßt in dieses Bild – eine orientierungslose junge Frau ohne verläßliche Vertrauensperson, ohne Perspektive, die am Ende vielleicht mal einen soliden Typen findet, sich zuvor aber in ihrer Verzweiflung und Aussichtslosigkeit zu einem solch drastischen Schritt entschließt, wie ihr Kind auszusetzen, was ja meistens ein Zeichen allergrößter Not ist. Caterina sieht in ihr vermutlich das Abbild des von Gott verlassenen Menschen, wir mögen in ihr das Abbild eines einsamen und zutiefst hilflosen Menschen sehen, doch wie auch immer die Perspektive sein mag, der Film moralisiert nicht lang und breit, er bleibt bei den Menschen, schenkt ihnen kein billiges Happy End, keinen einfachen, höhnisch banalen Ausweg, er läßt sie ihren Weg konsequent verfolgen, auch wenn es Opfer und Schmerzen zu beklagen gibt, läßt ihnen ihre Würde und Stärke. Die Schauspieler sind großartig, viele Szenen sind von wunderbarer, zarter Intimität, und von Beginn an ist man berührt und beeindruckt von dem ruhigen, einfühlsamen Rhythmus des Films, von seinen Beobachtungen, seiner sichtlichen Liebe zu den Figuren und seinem deutlichen Bekenntnis zu einem Kino, das sich nicht um kommerzielle Belange kümmert, sondern um seine Geschichte, um das, was diese Geschichte sagen will. Wie schon bei „Innocence“ Kino von Menschen gemacht und nicht von Computern und eine sehr willkommene Erinnerung daran, wie schön italienische Filme doch sein können. (30.1.)