„Red Dragon“ (Roter Drache) von Brett Ratner. USA, 2002. Anthony Hopkins, Edward Norton, Ralph Fiennes, Emily Watson, Harvey Keitel, Marie-Louise Parker
Da dieser Film nicht nur die Vorgeschichte zu „Das Schweigen der Lämmer“ erzählt, sondern sich zudem noch mit verschmitzter Frechheit immer wieder auf den prominenten Film bezieht, ganze Sequenzen eins zu eins kopiert oder am Schluß das Treffen zwischen Lecter und Clarissa Starling ankündigt, ist es, denke ich, ganz legitim, die beiden Filme zu vergleichen. Und da, um es mal vorweg zu nehmen, schneidet „Roter Drache“ nach meinem Empfinden nicht besonders gut ab. Ich bin beileibe kein großer Fan von Jonathan Demmes Film, finde im Gegenteil, daß er sein großes Potential zu oft den Effekten und der Show opfert, aber er hat im Vergleich zu „Roter Drache“ drei große Vorzüge: Er ist in seiner Atmosphäre sehr viel dichter, düsterer, aufregender, er geht viel mehr in den Magen, ohne dabei blutrünstiger zu sein. Ich habe, wenn auch teilweise widerwillig, doch mitgefiebert, während ich hier ganz locker und entspannt im Sessel hockte, nicht gelangweilt, aber auch nicht sonderlich gefesselt. Zweitens ist Demmes Film dramaturgisch besser gebaut, er ist einfach spannender, entwickelt das Finale ungleich dramatischer, während „Roter Drache“ viel zu früh die Dinge offen legt und am Schluß mit einem enttäuschend konventionellen, lang vorhersehbaren Finale à la Hollywood aufwartet: Die Bestie ist natürlich nicht tot, wie jeder weiß, der ein paar solcher Filme kennt, und er wird am Schluß natürlich die süße Kleinfamilie seines Gegners bedrohen und natürlich wird recht viel Blut fließen und ein gutes Ende herbei geführt. Zehn Minuten vor Ende des Films habe ich dementsprechend schon abgeschaltet, weil ich mir den gesamten Rest schon denken konnte. Drittens: Demmes Film macht aus seinen Charakteren einfach mehr. Das will gar nicht mal so viel sagen, denn ich fand ja schon damals, daß das Duell Hopkins-Foster noch viel weiter hätte gehen können, aber wenn ich jetzt „Roter Drache“ sehe, werden diese Mängel von einst fast schon wieder zu Vorzügen. Hopkins‘ faszinierende, monströse Dämonie ist fast völlig entschärft worden. Man kennt Lecter schon aus zwei Filmen, dafür kann er auch nichts, doch hat er kein Geheimnis mehr, er wirkt eher gedämpft und niemals so bedrohlich und hypnotisierend wie im ersten Film des Trios (den zweiten, den von Ridley Scott, kenne ich nicht und bin auch nicht sehr neugierig darauf). Seine Zusammentreffen mit Norton haben zu keiner Zeit diese fast erotische Intensität wie im „Schweigen der Lämmer“ die Gespräche zwischen Lecter und Starling, weil sich die beiden Gegenspieler einfach nicht nahe genug kommen. Dieser Will Graham, gespielt von Norton, ist ein sehr intuitiv arbeitender FBI-Mann, der sich außerordentlich in die Psyche und Handlungsweise der Täter einfühlen kann. So kommt er dem kranken Killer auf die Spur, braucht aber, wie auch Starling, die Hilfe des wahrhaft Wahnsinnigen, um den Mörder völlig zu verstehen und vor dem nächsten Massaker lokalisieren zu können. Hier hinkt die Geschichte auch ein wenig, denn wenn man ganz genau hinsieht, findet Graham die entscheidenden Hinweise allein, ohne Lecters mysteriöse Andeutungen, die ihm eher Aufschluß geben über die Motive des Täters. Graham bleibt eigentlich ein recht farbloser Charakter, und all die Abgründe, die ihm da so angedichtet werden, sind Behauptungen, die kaum umgesetzt werden. Ein so erstklassiger Schauspieler wie Norton, geradezu prädestiniert für abgründige, ambivalente Typen, ist hier wie Hopkins leider unterfordert, kann sein Potential längst nicht ausspielen, obwohl die Rolle es hergegeben hätte. Keitel geht es nicht anders, er darf nur die Routinenummer des väterlichen Vorgesetzten runterspulen, ohne jegliches Eigenprofil zu gewinnen. Warum man einen solchen Star in eine solch blasse Rolle zwängt, ist eigentlich unverständlich, aber im Gesamtkonzept natürlich nicht, denn der Name Keitel macht sich auf jedem Plakat gut, auch wenn er im Film fast nichts zu tun hat. Auch die immer sehr gute Marie-Louise Parker hat als ständig ängstliche, bedrängte und zweifelnde und krittelnde Gattin keinerlei Spielraum außerhalb des gängigen Klischees. Richtig gut geht es da eigentlich nur Fiennes und Watson, die ihrem großen Können entsprechend agieren und Charakter zu spielen haben, die ihnen Futter geben. Fiennes als der geisteskranke Täter entwickelt eine beängstigende Präsenz und ist für die Konstruktionsschwäche der Geschichte nicht zuständig. Auch Watson als blinde Freundin, obwohl eine etwas skurrile und altmodische Rolle, besticht einmal mehr durch ihre eindringliche Persönlichkeit. Was man dem Film außer diesen beiden adäquaten Parts noch zugute halten kann, ist die Tatsache, daß er auch anschauliche, allzu massive Schockeffekte verzichtet und sich vor allem im ersten Teil genug Zeit nimmt, um einen Schauplatz zu entwickeln, eine Geschichte zu erzählen. Daß ihm damit noch lange kein Taschentuchzerknüller gelungen ist, liegt am Drehbuch, am unglücklichen Aufbau der Story, an mangelnder Tiefe bei der Charakterzeichnung. Also bleibt das vertraute Fazit: Was ein Highlight des Unterhaltungskinos hätte werden können, ist im Stadium der Routineware stecken geblieben. Sündhaft viel verschwendetes schauspielerisches Potential und ein Kinoabend, der wohl kaum unter die Rubrik „unvergeßlich“ einzureihen ist. (13.11.)