„Satin rouge“ (Roter Satin) von Raja Amari. Tunesien/Frankreich, 2001. Hiam Abbas, Hend El Fahem, Maher Kamoun

Die Geschichte der häuslichen Witwe Lilia, die brav und zurückgezogen vor sich hin lebt, tagaus, tagein putzt, abstaubt, wischt und ordnet, hingebungsvoll dem gedenken an ihren Mann verpflichtet ist und außerdem mit Gluckenblick darauf sieht, daß ihre pubertäre Tochter nicht vom Pfad der Tugend abweicht. Alles wird anders, als sie durch Zufall in eine Bauchtanzkneipe in der Stadt gerät und vom Sog der Musik, der Rhythmen, der fieberhaften, erotisierenden Tänze und der aufgeheizten Atmosphäre buchstäblich mitgerissen wird.

Diese Geschichte ist natürlich eine Emanzipationsgeschichte, erst mal ungeachtet des konkreten sozialen Hintergrunds: Eine Frau macht sich frei, bricht aus aus dem Gefängnis der Vergangenheit, der Sitten und Moralvorstellungen, tut endlich wieder etwas für sich, entdeckt sich selbst ganz neu als Frau, als Geliebte, findet zu neuem Selbstbewußtsein und kann dadurch auch ihrer Tochter mehr Freiheiten einräumen. Und kann es sogar aushalten, den Ehemann mit ihr zu teilen, denn ohne es zu wissen, hatte auch sie eine Affäre mit ihm angefangen. Eine Emanzipationsgeschichte also, und wenn man bedenkt, daß sie aus einem islamischen Land kommt, dann ist das doch schon eine ganz schön freche, provozierende Sache. Zunächst einmal wird mit Erotik überraschend offensiv und direkt umgegangen und zum anderen geht es natürlich in der Hauptsache um das Verhältnis der Geschlechter zueinander. Wir erleben zunächst die klassische Ordnung: Die Frau tugendhaft, hochgeschlossen, bescheiden und vor allem daheim, wo der Gatte sie gut unter Kontrolle hat. Der allerdings erlaubt sich den abendlichen Luxus eines Barbesuchs, wo es natürlich hoch her geht, wo man all seine Phantasien verwirklicht sieht und wo man vor allem Frau sieht, die nicht so langweilig und unterwürfig sind wie die Muttis zuhause. Diese Tänzerinnen sind starke, selbstbewußte, sinnliche Frauen, ihrer Reize vollauf bewußt und auch ihrer Macht über die Männer, denn sie lechzen und johlen und liegen den wirbelnden, leicht geschürzten Damen zu Füßen. Lilia nun bewegt sich im Verlauf des Films von der einen Seite auf die andere, und am Schluß ist sie eine von den Tänzerinnen, sie hat, was vordem undenkbar und absolut skandalös gewesen wäre, mit einem anderen Mann geschlafen und sie hat eine neue, intensive Lebensfreude gefunden, was die Männer an ihren Frauen ja auch nicht immer allzu gerne sehen.

 

All dies wird in diesem Film auf wunderbar leichte Weise thematisiert, mal mit Komik und Ironie, mal ruhig, fast meditativ und ohne viel Worte, dann aber auch wieder aufgelöst in der fieberhaften Musik und ihren mitreißenden Rhythmen. Die Hauptdarstellerin durchlebt die Wandlung ihrer Figur glänzend und sehr glaubhaft, die Schauspieler um sie herum sind ähnlich überzeugend, und überhaupt ist dies einer jener nordafrikanischen Filme, die schwungvolle, sehr geistreiche und witzige Unterhaltung mit engagierten, präzisen und sensiblen gesellschaftlichen Kommentaren mischen. (17.7.)